Interview mit Prof. Dr. Lutz Thieme

Wie sich die Arbeitswelt im Sport verändert

 

Zur Person

Lutz Thieme (56) studierte Sportwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Psychologie an der Universität Leipzig, ist ehemaliger Leistungsschwimmer und lehrt aktuell am RheinAhrCampus Remagen der Hochschule Koblenz mit den Schwerpunkten Sportmanagement und Sportsoziologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u.a. die Sportvereins- und -verbandsforschung, Karrieren im Sport, Innovationen im Sport, Sportförderung, Organisationsentwicklung und Controlling im Sport.

Herr Thieme, die Arbeitswelt des Sports hat sich stark gewandelt. Von welcher Bandbreite sprechen wir mittlerweile?

Die Arbeitswelt ist so bunt wie der Sport selbst. Wenn wir Sportschuhe und Sportkleidung in unsere Sporttasche packen, dann haben Menschen lange vorher über die Materialeigenschaften nachgedacht, die unsere Sportkleidung haben muss, es wurde entwickelt und designt, die Produktion wurde aufgebaut, Lieferketten wurden geknüpft, die Vertriebswege bestimmt und wir wurden auf die Sachen aufmerksam gemacht. Wir nehmen die volle Sporttasche und freuen uns auf den Sport. Egal, ob in der Schule, im Verein oder anderswo, weil dort Menschen sind, die uns anleiten und zeigen, wie wir Bewegungen richtig ausführen und trainieren können. Andere Menschen sorgen dafür, dass es Wettkämpfe gibt, für uns selbst und für Menschen, denen wir gerne zusehen, weil sie so unfassbar gut darin sind, was sie sportlich machen. Dafür gehen wir in Sporthallen, Stadien oder stehen am Straßenrand. Journalisten berichten, wir diskutieren es in den sozialen Netzwerken. Jemand hat das alles erdacht, organisiert, programmiert und viele sorgen dafür, dass es wie am Schnürchen läuft. Architekten und Ingenieure haben reale Sportstätten entworfen und gebaut, virtuelle wurden programmiert, Biomechaniker machen sich Gedanken über die Geräte, die wir schräg gegenüber im Park finden und die wir einfach so benutzen können. Und abends schauen wir uns unsere Vital-Daten an, die unser Fitnesstracker gesammelt hat und konsultieren noch schnell die KI, die uns ein Trainingsprogramm für morgen schreiben soll. Der Sport bietet also vielfältige pädagogische, soziale, kreative, betriebswirtschaftliche, ingenieur- und datentechnische reale und virtuelle Arbeitswelten.


Wo finden die größten Veränderungen statt? Welche aktuellen Trends gibt es beim Arbeiten im Sport?

Die Digitalisierung hat die Arbeitswelten im Sport schon stark verändert und wird es noch in deutlich stärkerem Maße tun. Die Fantasie, die sich mit virtuellen Welten, mit dem Mix von Realem und Virtuellem und dem Einsatz von KI im Sport verbindet, ist nahezu grenzenlos und wird vor keinem einzelnen Arbeitsplatz im Sport halt machen. Es könnte so sein wie bei der Einführung der Personalcomputer oder des Smartphones. Zuerst haben und nutzen es nur wenige in der täglichen Arbeit, aber schon bald geht es nicht mehr ohne. Dieser Prozess könnte vom demografischen Wandel befeuert werden, der aktuell im Sport etwas aus dem Blick geraten scheint. Dabei spüren die Unternehmen und Organisationen im Sport den demografischen Wandel, wenn beispielsweise Fachkräfte fehlen, wenn es weniger ehrenamtlich Engagierte in den Sportvereinen gibt oder wenn sich die Nachfrage in Richtung von Sportangeboten verschiebt, denen man auch noch im fortgeschrittenen Alter nachgehen kann.


Gibt es unter Ihren vielen Forschungsprojekten eins, bei dem Sie dazu wichtige Erkenntnisse sammeln konnten?

Wir haben uns in letzter Zeit viel mit virtuellem Ehrenamt und der Mitgliederentwicklung in Sportvereinen befasst. Ehrenamt ist ja traditionell eine wichtige Ressource für Sportvereine. Die junge Generation kann schon rein zahlenmäßig nicht die Menge an ehrenamtlicher Arbeit bewältigen, die die sogenannte Boomer-Generation erbracht hat. Eine Möglichkeit, dies zumindest teilweise zu kompensieren, wären neue Formen ehrenamtlichen Engagements, wie beispielsweise ein Ehrenamt, welches man überwiegend zeitlich autonom und virtuell ausüben kann. Der Blick auf die Mitgliederentwicklungen offenbart, wie erfolgreich Sportvereine bei Kindern bis ca. 10 Jahre sind und wie schwer es dann fällt, die älter werdenden Jugendlichen im Sportverein zu halten. Wenn Sportvereine stärker binden wollen, hat das natürlich wieder Einfluss auf die Anforderungen an den Vorstand und die Übungsleiter und Trainer.


Wie haben sich in Ihrem Berufsumfeld der Unis und Hochschulen die Anforderungen geändert? Welche neuen Studiengänge gibt es zum Beispiel?

Die Veränderungen setzen sich weniger in neuen Studiengängen als in einer permanenten Anpassung der Inhalte um. Die Beschäftigung mit der Digitalisierung und mit Daten hat in Sportmanagement-Studiengängen stark zugenommen, sportpädagogisch orientierte Studiengänge beschäftigen sich intensiv mit den Herausforderungen, die jede junge Generation mit sich bringt. Im Bereich der verbandlichen Aus- und Fortbildung, also der Übungsleiter- und Trainerlizenzen, werden auch laufend Inhalte angepasst und es wird mit der Verlagerung auf Online-Lernplattformen und digitale Medien versucht, die Inhalte an die Lerngewohnheiten der Menschen anzupassen. Dabei ist natürlich zu beobachten, dass junge Menschen viel stärker digitale Formate akzeptieren und in ihre Lernstrategien einbinden als Ältere.


Wir erleben eine zunehmende Professionalisierung im Sport, vor allem in den Verbänden und Vereinen – ein Beispiel sind die anstehenden Strukturveränderungen im DTB. Sehen Sie diese Entwicklungen mit Sorge oder Zuversicht?

Ich wäre bei dieser Beschreibung vorsichtig. „Zunehmende Professionalisierung im Sport“ ist ein Terminus, der schon lange verwendet wird und eine exponentielle Zunahme professionellen Handelns beschreibt. Ich denke, dass es sich eher um Prozesse des Organisationswandels handelt. Organisationen passen sich – mal kontinuierlich, mal in einem größeren Schritt – an die Anforderungen ihrer Mitglieder und den Anforderungen an, die aus dem Organisationsumfeld an sie herangetragen werden. Sportvereine und Sportverbände legen dabei mehr Wert auf eine Orientierung nach innen. Das lässt sie manchmal von außen als strukturkonservative Organisationen erscheinen. Sportvereine sind aber ein sehr erfolgreicher Organisationstyp. Kaum eine andere Organisationsform hat trotz massiver gesellschaftlicher Veränderungen so lange überlebt wie Sportvereine. Daher bin ich sehr zuversichtlich, dass Sportvereine und Sportverbände auch diesmal gemeinsam einen guten Weg finden werden, sich neuen Herausforderungen inhaltlich und strukturell zu stellen, ohne dabei Bewährtes vorschnell über Bord zu werfen. Allerdings wird das nicht einfach werden – war es aber auch noch nie.


Mit welcher Motivation wenden sich Menschen gerade Jobs im Sport zu? Sind es nach ihrer Erfahrung vorwiegend Menschen, die im und mit dem Sport – in welcher Form auch immer – groß geworden sind?

Es lässt sich ziemlich gut empirisch belegen, dass es nahezu ausschließlich Menschen sind, die im und mit Sport sozialisiert wurden, die später im Sport hauptamtlich oder ehrenamtlich arbeiten wollen. Im Ehrenamt steht dabei die intrinsische Motivation, etwas Sinnvolles zu tun und etwas an die Gesellschaft zurückzugeben, im Mittelpunkt. Im Hauptamt fasziniert vor allem die Vielfalt der Themen im Sport und dass dabei immer Menschen im Mittelpunkt stehen. Allerdings vermissen manche Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie eine stärkere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


Ist es von Vorteil, wenn ehemalige Leistungssportler nach ihrer Sportkarriere weiter im Sport tätig sind?

Auch Sie als ehemaliger Profi-Schwimmer kennen sich aus in diesem Kreislauf des Sports… Ja, das hilft sicher. Leistungssportler haben einen spezifischen Blick auf den Sport und bringen zudem Charaktereigenschaften ein, die sich im Leistungssport herausgebildet haben. Allerdings ist immer ein breiter Blick notwendig, um gute Lösungen zu finden.


Was macht Ihren Beruf/Ihre Tätigkeit für Sie attraktiv, was motiviert Sie?

Mich persönlich reizt die Herausforderung, nach neuem Wissen zu suchen und dieses an junge Menschen heranzutragen, indem ich versuche, es mit ihrer Lebensrealität zu verknüpfen. Außerdem versuche ich dieses neue Wissen für Sportorganisationen aufzubereiten, damit diese auch davon profitieren. Von meinen Studierenden und den Sportorganisationen nehme ich auch immer wieder neue Probleme mit in die Studierstube, die nicht in einem Elfenbeinturm stehen soll. Gelingt diese wechselseitige Auseinandersetzung ab und zu, bin ich motiviert, es immer wieder zu versuchen.


Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, um erfolgreich im Sport zu arbeiten?

Da lässt sich kaum eine pauschale Antwort geben. Ohne Bindung zum Sport geht es aber nicht. Jobs im Sport sind immer mehr als nur Jobs. Sehr, sehr viele sind emotional mit dem verbunden, was sie täglich auf den Weg bringen. Neben der Fachexpertise und dem Spaß an der Arbeitsaufgabe gehört im Sport sicher auch eine Portion Durchhaltevermögen dazu, weil nicht immer sofort alles gelingt.


Welche Tipps haben Sie für Menschen, die gern im Sport arbeiten wollen?

Ich rate jedem und jeder sich zunächst ehrenamtlich zu engagieren. Die Sportvereine und Sportverbände bieten gerade jungen Menschen eine breite Palette an Möglichkeiten sich auszuprobieren. Die Liste reicht vom Übungsleiter über Schieds- und Kampfrichter, Jugendwarten, Vorstandspositionen, dem Pflegen der Social Media-Plattform bis hin zu eher projektbezogenen Aufgaben bei Sportveranstaltungen oder Vereinsevents. Man kann dann schnell herausfinden, ob es reizvoll ist, im Sport sein Geld zu verdienen und wenn ja, in welcher Art von Organisation. Es muss ja nicht unbedingt die Schule, der Sportverein, das Fitnessstudio, der Verband oder ein Sportartikler sein. Es gibt im Sport sehr viele Agenturen mit unterschiedlichster Ausrichtung. Und man kann als Selbständiger oder in einem Startup auch eigene Ideen in die Tat umsetzen.


Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um mehr und kontinuierlich Leute in Jobs bei Vereinen resp. in die Strukturen des organisierten Sports zu bekommen?

Die Aufgaben in Sportvereinen und Sportverbänden werden ja nicht weniger. Da die Anzahl der ehrenamtlich Engagierten zumindest mittelfristig aufgrund des demografischen Wandels zurückgehen wird, müssen die verbleibenden Ehrenamtler mehr arbeiten, Ehrenamt muss durch Hauptamt ersetzt werden oder der notwendige Arbeitsumfang wird verringert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der durchschnittliche Ehrenamtler bereit ist, noch mehr Zeit als derzeit aufzubringen. Daher kann eine Lösung nur in einer Kombination von Entbürokratisierung, Effizienzsteigerung und vermehrtem Hauptamt bestehen. Viele Vereinsvorstände klagen über die Bürokratielast, die ihnen von Dritten, aber auch von ihren Sportverbänden auferlegt werden. Effizienzsteigerungen lassen sich u.a. über eine andere Organisation der anfallenden Arbeit, über schlankere Entscheidungsstrukturen aber auch über eine konsequente Digitalisierung erzielen. Und die Mitglieder müssen verstehen, dass sie sich entweder selbst stärker engagieren müssen oder die Beiträge auch für die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeitenden verwendet werden müssen. Den jeweils passenden Weg werden die Vereine selbst finden. Das wird auch – ggf. mit Unterstützung der Sportverbände – gelingen. Dann muss der Verein aber auch als Arbeitgeber attraktiv sein. Dies sind Vereine und Verbände dann, wenn sie Verantwortung und Entscheidungskompetenz an das Hauptamt übertragen.


Treiben Sie selbst Sport?

Natürlich. Ich spiele noch regelmäßig Wasserball in dem Verein, in dem ich lange Vorsitzender war. Freue mich da schon auf die nächste Punktspielsaison

 

 

Interview: Gritt Ockert
Foto: hello-ad by Dennis Penner


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