Interview mit Prof. Dr. Andreas Ströhle

Unsere große Stärke ist die Gemeinschaft

 

Zur Person

Prof. Dr. Andreas Ströhle (59) ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Leiter der Spezialambulanz für Angsterkrankungen sowie Sportpsychiatrie und -psychotherapie am Campus Charité Mitte in Berlin. Ströhle zählt zu den renommiertesten Experten für Angsterkrankungen sowie Sportpsychiatrie und -psychotherapie im deutschen Raum.

Professor Ströhle, seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Zusammenhang von Bewegung und psychischer Gesundheit?


Bis zum Jahr 2002 war ich Leiter der Angstambulanz Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München (MPI).

Wieder zurück in Berlin bekam ich die Stelle des Oberarztes und des Arbeitsgruppenleiters in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Seitdem beschäftige ich mich auch beruflich mit dem Thema „Bewegung und körperliche Aktivität und psychische Gesundheit bzw. psychische Krankheit“. Weil das eine wichtige Rolle im Leben spielt, ein ganz wichtiger Bereich ist und herauszuarbeiten ist, wie das auch im klinischen Alltag genutzt werden kann. Es ist eine Herausforderung, von der auch die Patienten profitieren können.


Was umfasst Ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet, mit welchen Zielen?


Es gibt klinische und wissenschaftliche Tätigkeiten in unterschiedlichsten Bereichen. Ich bin in der Lehre tätig und aktiv im Referat von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, halte in diesem Kontext auch Vorträge. Die Lehre richtet sich an Medizin-Studierende oder Ärzte in Weiterbildung, aber auch an Therapeuten in Ausbildung. Im Referat beschäftigen wir uns mit Forschungsprojekten und veranstalten Workshops. Es gibt ein Netzwerk von Kliniken, die für Sportlerinnen und Sportler auch ansprechbar sind. Neben meiner Tätigkeit als Arzt und Therapeut bzw. als Behandler von Menschen mit primär psychischen Erkrankungen ist die Erkennung und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Sportlern ein weiterer Bereich. Wir haben für psychische Erkrankungen bei (Leistungs-)Sportlern auch eine Spezialambulanzen in der Klinik.


Wir machen Studien zum Zusammenhang von Bewegung, Sport in der Entstehung psychischer Erkrankungen, wir arbeiten hier insbesondere auch im Hinblick auf die Behandlung dieser Erkrankungen.

Seien es Depression, Angsterkrankungen oder auch dementielle oder substanzgebundene Erkrankungen.


Meine Tätigkeit umfasst ein relativ breites Spektrum an Aktivitäten. Bei uns in der Klinik gibt es auch den Bereich der Bewegungs- und Sporttherapie sowie andere komplementäre Behandlungen, den ich leite. Den Patienten werden hier bewegungs- und spottherapeutische Angebote zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, einerseits im Hinblick auf Menschen mit psychischer Erkrankung die Behandlung weiter zu erforschen, anzuwenden und noch wirksamer zu machen. Gleichzeitig aber auch ein Spezialangebot zur Verfügung zu stellen und die Bewegungs- und Sporttherapie im Fach sowie im klinischen Alltag noch an Bedeutung zunehmen zu lassen. Zurzeit arbeiten wir an verschiedenen Studien wie „Yoga bei Panikstörungen“, „Walking bei Mama-Ca“, „HIIT bei Cannabiskonsumstörung“ oder „Körperliche Aktivität als Vitalzeichen.“


Haben die massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Lebensalltag der Bevölkerung neue Erkenntnisse gebracht?


Die Pandemie hat zu Veränderungen der Lebensgewohnheiten, zu veränderten Aktivitäten und dem veränderten Gesundheitsverhalten geführt, die auch mit anderen Lebensstilfaktoren verbunden waren. In den unterschiedlichen Phasen der Pandemie haben wir auch unterschiedliche Veränderungen zum Beispiel im Hinblick auf Ängste und Befürchtungen gefunden. Insgesamt kann man sagen, dass es für viele Menschen eine deutlich vermehrte Belastung gewesen ist. Zusätzlich waren Menschen mit psychischer Erkrankung nochmal stärker belastet als die allgemeine Bevölkerung. Es gibt in Bezug auf die Corona-Pandemie unterschiedliche Befunde zu Hilfesuchverhalten, zu Mediennutzung und zu spezifischen Ängsten. Im Kontext zu Sport und Gesundheit ist das aber nicht relevant.


Wir wissen um den Zusammenhang von Bewegung und Gesundheit, auch mentaler Gesundheit, aber nicht unbedingt, welche Prozesse im Körper dabei ablaufen. Können Sie das kurz erläutern?


Bei Bewegung und Sport finden sowohl biologische und psychologische Veränderungen als Regulations- und Adaptationsmechanismen statt, die auch mit den Effekten von Sport auf die Psyche und die psychische Befindlichkeit in Verbindung gebracht werden. Zum einen die Beeinflussung vom vegetativen Nervensystem, also auf Sympathikus und Parasympathikus sowie die Beeinflussung von den klassischen Nervenüberträgerstoffen wie Serotonin, Noradrenalin sowie Dopamin, u.a. auch als Vermittler des Belohnungssystems. Aber auch andere Prozesse finden statt, die mit Lernen und Neuroplastizität in Verbindung gebracht werden, zum Beispiel die Beeinflussung von Nervenwachstumsfaktoren wie z.B. BDNF. Auch das Immunsystem wird beeinflusst. Das ist ein ganz breites Spektrum an Veränderungen im Körper, die durch Aktivität bzw. in Abhängigkeit vom Ausmaß und von der Art der Aktivität beeinflusst werden.


Heißt das, durch mehr Bewegung können Medikamente ersetzt oder zumindest reduziert werden?


Uns geht es weniger darum, Medikamente zu ersetzen oder zu reduzieren. Sondern es geht eher darum, zu schauen, was ich durch Bewegung und Sport therapeutisch erreicht werden kann. Es geht nicht um einen Ersatz von Psychotherapien oder von Medikamenten, sondern es ist eine Ergänzung. In der Behandlung von Patienten ist das einer von unterschiedlichen Bestandteilen. Medikamente, Psychotherapie, Soziotherapie und komplementäre Behandlungen spielen eine Rolle. Bewegung und Sport sind hier ein Baustein und man muss im Einzelfall schauen, welche Stellschraube wie gedreht werden kann, um therapeutische Effekte zu erzielen.


Bei welchen Krankheitsbildern hat man solche positiven Effekte nachgewiesen?


Bei ganz vielen psychischen Erkrankungen konnten positive Effekte nachgewiesen werden wie Depressionen, Angsterkrankungen, demenziellen Erkrankungen, Schizophrenien oder Somatisierungsstörungen. Die meisten psychischen Erkrankungen können positiv durch körperliche Aktivitäten beeinflusst werden. Die stärksten Effekte erzielt man bei denen, die wenig aktiv sind. Bei denen, die schon sehr aktiv sind, kann durch zusätzliches Aktivsein nicht mehr so viel erreicht werden.


Welche Sportarten oder Bewegungsformen kommen hierbei infrage?


Hier kommt alles in Frage, vom Treppensteigen bis zum Walken, über Klettern, Tanzen, Schwimmen oder auch Mind-Body-Aktivitäten. Unterschieden wird oft zwischen Kraft- und Ausdauersport, aber jede Sportart kann geeignet sein. Sie sollte lediglich ein hohes Verletzungsrisiko ausschließen. Es geht darum, zu schauen, was Betroffenen am Ehesten im Alltag machen können. Laufen, Fahrradfahren oder Fahrradergometer sind für die meisten Menschen die am einfachsten zugänglichen Sportmöglichkeiten und Trainingsformen. Aber auch Tanzen gehört dazu. Yoga kann gut für eine Depressionsbehandlung sein. In unserer Klinik versuchen wir, ein möglichst breites Angebot zu schaffen, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Damit sie mitmachen und das auch nutzen.


Welche Umfänge empfehlen Sie?


Es gibt keine spezifischen Empfehlungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wir orientieren uns an den Empfehlungen der WHO und dem „American College of Heart“ oder der Sportmedizin. Das heißt, die allgemeine Empfehlung sind 150 Minuten moderate bis intensive körperliche Aktivität pro Woche im Ausdauerbereich. Dann wird noch empfohlen, Krafttraining zu machen, aber die Grundlage sind zunächst mal wirklich die 150 Minuten. Wer sehr intensiv trainiert, kann die Dauer auch verkürzen. Am besten ist es, an allen bzw. an den meisten Tagen in der Woche 30 Minuten aktiv zu sein. Das sollte im Alltag erreichbar sein.


Was können wir in diesem Kontext präventiv tun, um psychisch möglichst stabil zu bleiben?


Wenn man noch gesund ist, kann körperliche Aktivität ein Aspekt sein. Ansonsten gehören allgemein Ernährung und ein guter Schlaf-Wach-Rhythmus dazu. Der Umgang mit Stress und mit Belastung sind Faktoren, die in der Entstehung psychischer Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen können und auch in der Prävention genutzt werden. Bewegung und Sport ist ein ganz wichtiger Faktor, der präventiv eine Rolle spielen kann.


Es gibt zu wenige, vor allem niedrigschwellige, Sport- und Bewegungsangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen/Problemen. Welche Anforderungen sollten entsprechende Vereins-Angebote aus Ihrer Sicht erfüllen?


Das Angebot sollte immer möglichst niedrigschwellig sein. Menschen mit psychischen Erkrankungen können auch unzuverlässig sein oder krankheitsbedingt ausfallen oder finanziell weniger gut dastehen als Menschen ohne psychische Erkrankungen. Da kann ein Vereinsbeitrag oder eine gewisse finanzielle Verpflichtung ein Hindernis darstellen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind krankheitsbedingt auch körperlich weniger leistungsfähig. Unter Umständen benötigen sie vom Übungsleiter oder Trainer in manchen Situationen mehr Unterstützung. Vereine haben genauso eine Berechtigung wie Fitnessstudios. Es geht um ein breites Angebot für Menschen mit psychischen Erkrankungen und darum, dass sie sich in beiden Sparten gut aufgehoben fühlen.


Wie wichtig ist der soziale Aspekt im Verein?


Der soziale Aspekt ist ganz wichtig. Soziale Kontakte und Interaktionen spielen eine wichtige Rolle, auch unabhängig von Bewegung und Sport. Aber im Zusammenhang damit kann es leichter sein, aktiv zu werden oder „bei der Stange zu bleiben“. Wenn man regelmäßige Termine und ein angenehmes Umfeld hat und die Aktivitäten gemeinsam absolviert werden, hat das auch positive emotionale Effekte. Das wird im klinischen Alltag auch häufig genutzt. Es wird versucht, Menschen gemeinsam und idealerweise auch im angenehmen Kontext aktiv werden zu lassen und zu trainieren.


Wie kann Bewegung bei mentalen Problemen von Kindern und Jugendlichen helfen?


Bewegung ist unabhängig vom Lebensalter und in jeder Phase des Lebens wichtig. Es gibt Phasen, in denen zum Beispiel Kampfsportarten für körperliche Entwicklung und auch für das Selbstwertgefühl, für das Selbstbewusstsein eine wichtige Rolle spielen können. In anderen Phasen ist der Verein oder bei Mannschaftssportarten der Zusammenhalt, das Zusammenarbeiten im Team wichtig. Es gibt allerdings auch den negativen Aspekt des Zusammenseins und Feiern: den Substanzkonsum, also der Genuss von Alkohol oder anderer Substanzen. Der organisierte Sport im Verein spielt hier eine eher negative Rolle. Das ist aber nicht primär dem Verein, sondern eher dem Alter der Jugendlichen zuzuschreiben, in dem das eine Thema bzw. ein Problem ist. Ganz sicher wichtig ist auch in frühen Lebensphasen – im Kleinkind- und Kindesalter – die Bewegungsförderung und die Förderung der Freude an der Bewegung. Das sollte früh aufgegriffen werden, damit Menschen idealerweise wirklich ihr ganzes Leben lang Freude an der Bewegung haben, aktiv und dadurch fitter und gesünder sind als Menschen, die keinen Spaß an der Bewegung haben und das nur notgedrungen krankheitsbedingt machen.


Was tun Sie, wenn Sie sich gestresst fühlen oder Belastendes zu verarbeiten haben? Welche Tipps gibt es für unsere Leser?


Das kommt ganz auf den Stress und die Belastung an. Regelmäßig fahre ich zum Beispiel mit dem Fahrrad zur Arbeit – morgens und abends jeweils 15 Kilometer. Das tut gut, das ist ein guter Ausgleich. Ich merke sofort: Wenn ich das nicht mache oder nur ein paar Tage Pause habe, dann fehlt mir das sehr. Ihre Leser, die ja schon im Verein aktiv sind, sollten wissen, wie gut Sport und Bewegung tun. Insbesondere bei schwierigen, stressigen Belastungen und in bestimmten Lebensphasen sind solche Dinge wie körperliche Aktivtäten und Sport, aber auch soziale Kontakte wichtig, um einen Ausgleich zu haben. Leider passiert es häufig, zum Beispiel in Prüfungsvorbereitungen oder in anderen schwierigen Phasen, dass daran gespart wird und versucht wird, die Zeit auch anders oder zielgerichteter zu nutzen. Häufig ist es extrem wichtig, diesen Ausgleich auch weiterhin für eine Stabilität und einen erfolgreichen Umgang mit stressigen und belastenden Lebensphasen zu haben. Wer eine halbe Stunde aktiv war und körperlich etwas gemacht hat, ist fitter und weniger unzufrieden mit sich und der Welt.

 

 

Interview: Gritt Ockert
Foto: privat


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