Statement von Sigrid Hein
Ausführliche Fassung des Textes aus dem Magazin BewegtBerlin, Nr. 1 (September 2020)
Ich lerne noch so viel, vor allem von meinen vier Enkeltöchtern. Sie waren bis zu ihrem Studium oft bei mir. Da war dann Fragestunde: Was hast du gemacht, als du so alt warst wie wir? Heute sind sie alle über 30 und geben mir viel zurück, wir tauschen uns aus und ich lerne schon etwas Neues, wenn ich nur mit einer von ihnen einkaufen gehe…
Ich hab‘ ihnen immer gesagt: Lernt nicht für die Prüfungen, lernt für euch! Bleibt neugierig! Ihr habt so viele Möglichkeiten, bekommt so viele Informationen. Nutzt das! Für mich war in der Jugend das einzige Mittel für mehr Wissen der Brockhaus! Aber wissbegierig bin ich immer geblieben.
Ich wollte schon in der Schule immer ein bisschen mehr wissen, als verlangt wurde. Mein Vater hat mir Bücher gekauft, von denen er dachte, dass sie mich interessieren. Diese Bücher-Liebe ist geblieben, da beziehe ich heute noch viel Wissen draus. Und ich schenke meinem ältesten Urenkel auch gern Bücher und freue mich, wenn er sich dafür interessiert.
Wo ich nichts mehr lerne, ist beim Thema Computer; da habe ich nicht rechtzeitig damit angefangen. Und das Handy nehme ich auch nur zum Telefonieren…
Das Lernen und das Turnen gehörten bei mir immer zusammen. Ich habe sogar meine Bank-Lehre aufs Spiel gesetzt, weil ich im Einstellungsgespräch einen späteren Einstieg gefordert habe: Ich musste doch unbedingt zum Turnfest! Das waren ja auch noch andere Zeiten, Anfang der 50er Jahre, da hatte man keine Forderungen zu stellen. Der Chef war so perplex, dass er ja gesagt hat… Eigentlich war ich auf dem Weg zur Sportlehrerin, meinem Traumberuf. Aber dann verstarb mein Vater 1947, und ich musste nach dem mittleren Schulabschluss aufhören, meine Mutter konnte nicht arbeiten, sie war krank. Ich hab‘ die höhere Wirtschaftsschule absolviert und kam dann zu jenem Einstellungsgespräch…
Ich habe über die vielen Jahre – ich war seit meiner Kindheit im Turnverein - viel von meinen Ehrenämtern gelernt und mitgenommen, bei großen Persönlichkeiten wie Medau, Abt, Grauerholz, gelernt und viele Lehrgänge an der Deutschen Turnschule gemacht. Ich habe immer sehr eng mit den DTB-Verantwortlichen gearbeitet, war auch im Frauenausschuss.
Und in den Jahren beim Seniorentanz war es ja auch immer wieder eine Herausforderung, neue Tänze und Musiken zu finden und sie einzustudieren. Ganz wichtig ist es, dass man die Leute gut beobachtet, in ihrer Bewegungsfolge, dass man ihnen nichts überhilft, was sie nicht mögen oder können. Ich formte dann die Bewegungen der üblichen Tänze um, damit sie ein schnelles Erfolgserlebnis und Freude daran haben. Man muss vieles berücksichtigen bei Vorführungen, z.B. wie kleiden wir uns unserem Alter entsprechend? Da war Günter, mein Mann, ein guter Partner, er hatte ein Auge für sowas. Wir haben sehr viele Vorführungen im Laufe der Jahre gemacht. Heutzutage ist das Interesse nicht mehr so groß – auch bei den Seniorinnen sind die Ablenkungen gewachsen … Jetzt bin ich nicht mehr verantwortlich, aber nach wie vor beim Tanzen aktiv.
Wir treffen uns normalerweise einmal pro Woche im Verein zum Tanzen, das ist aber jetzt in der Corona-Zeit komplett ausgefallen. Immerhin dürfen wir uns mal in größerer Runde zum Kaffee im Clubhaus treffen, mit dem gehörigen Abstand. Wenn ich etwas in der Corona-Zeit gelernt habe, ist es Geduld.
Zur Person
Sigrid Hein (87) ist BTFB-Ehrenmitglied und war langjährige Verantwortliche für Seniorentanzen
Foto: Juri Reetz