Interview mit Prof. Dr. Bettina Rulofs

Prävention sexualisierter Gewalt erfordert einen Kulturwandel

 

Zur Person

Bettina Rulofs, 51, studierte Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS). Nach ihrer Promotion lehrte sie in Köln, Paderborn und Wien an Universitäten und war Professorin für Sportsoziologie an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal. Seit Oktober 2021 ist sie Professorin für Diversitätsforschung im Sport im Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln.

Frau Prof. Rulofs, Sie leiten aktuell die Studie „Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext des Sports“ sowie die Studie „SicherImSport“ und haben zuvor das Forschungsprojekt „Safe Sport“ betreut. Aus welchen Gründen widmen Sie sich gerade diesen Themen?


Ich widme mich diesen Themen, weil wir mehr Wissen dazu benötigen, wie wir den Sport zu einem sicheren und gewaltfreien Ort entwickeln können.


Die Studie „SicherImSport“ führe ich gemeinsam mit dem Kollegen Marc Allroggen vom Universitätsklinikum Ulm durch und hier untersuchen wir die Formen und Häufigkeiten von interpersonaler Gewalt in der Breite des Vereinssports mit Hilfe einer Befragung von über 4.000 Sportvereinsmitgliedern. Hinzu kommt hier eine Untersuchung der Stadt- und Kreissportbünde sowie Fachverbände in fünf Bundesländern, wo wir den Stand der Schutzmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Grenzverletzungen in Sportverbänden untersuchen. Mit dieser Studie, die vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen und verschiedenen weiteren Landessportbünden gefördert wird, versuchen wir die Lücke zu schließen, die nach der Safe Sport-Studie bestand. Wir betrachten hier also vor allem den Breitensport, zu dem uns bislang Daten fehlten. Auch der Landessportbund Berlin ist an dieser Studie beteiligt.


Gibt es besondere Anlässe, die diese Projekte notwendig gemacht haben?


Die Studie zu sexuellem Kindesmissbrauch im Kontext des Sports haben wir im Auftrag der Aufarbeitungskommission durchgeführt. Hier untersuchen wir Berichte von Betroffenen, die in ihrer Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt im Kontext des Sports erlebt haben. Es geht in dieser Studie also um die Aufarbeitung von Gewaltvorfällen im Sport, die aus der Perspektive von Betroffenen berichtet werden. Die Aufarbeitungskommission gibt es seit 2016 aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Sie untersucht sexualisierte Gewalt gegen Kinder in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Neben Familien, Schulen, Kinderheimen und Kirchen ist nun auch der Bereich des Sports in den Blick genommen worden.


Im Sport und in Sportvereinen gibt es im täglichen Umgang viele Situationen, die zu körperlichen Kontakten führen. Wie kann ein respektvoller und gewaltfreier Umgang gelingen? Gibt es ein Patentrezept?


Ein Patentrezept gibt es wohl nicht, aber ein wichtiger Schritt ist, alle im Sport dafür zu sensibilisieren, achtsam mit der körperlichen Nähe umzugehen. Die Körperlichkeit im Sport erzeugt Situationen und Gelegenheiten, die mitunter auch für sexualisierte Übergriffe ausgenutzt werden können. Zugleich sind es im Sport viele gewohnt, „über körperliche Grenzen“ hinweg zu gehen, wenn z.B. für einen Wettkampf hart und diszipliniert trainiert wird. Diese Konzentration auf den Körper ist wesentlich für den Sport und per se überhaupt nicht negativ, im Gegenteil: Der Sport bietet ja aufgrund seiner Körperlichkeit die Chance, den eigenen Körper als leistungsfähig und positiv zu erleben. Wir müssen uns nur bewusst sein, dass hier auch Risiken bestehen, insbesondere wenn es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen geht.


Wie sind Betroffene zu ermutigen, sexualisierte Gewalt zu benennen?


Aus unseren Studien wissen wir, dass vor allem folgende Aspekte wichtig sind: Junge Menschen brauchen das Vertrauen, sexualisierte Übergriffe, aber auch leichtere Formen von Belästigungen und Grenzverletzungen ansprechen zu können, ohne negative Konsequenzen zu befürchten. Das geht nur, wenn das Thema enttabuisiert ist, wenn es Worte und Wege dafür gibt, diesbezügliche Sorgen auch äußern zu können. Woher sollen Kinder und Jugendliche wissen, wie darüber zu sprechen ist, oder an wen sie sich dazu wenden können, wenn das Thema im Sportverein ausgeklammert oder verschwiegen wird.


Wir brauchen also auch in Sportvereinen eine Kultur der Achtsamkeit, indem etwa durch kind- und jugendgerechte Angebote über sexualisierte Gewalt informiert wird und Vertrauenspersonen benannt werden.


Wie kann Betroffenen geholfen werden, die Opfer körperlicher, sexualisierter oder psychischer Gewalt geworden sind? Was können die Vereine hier leisten?


Vereine können hier vor allem erstmal anbieten, aufmerksam hinzuhören, um dann mit den Betroffenen nach geeigneten Schritten zu suchen, wie die Gewalt beendet und aufgearbeitet werden kann. Dazu raten wir allen Vereinen, sich Unterstützung zu holen, denn gerade ehrenamtlich geführte Vereine sind hier oftmals stark herausgefordert, wenn es um die angemessene Intervention geht. Wir empfehlen also, sich z.B. an die Ansprechpersonen in den übergeordneten Verbänden, z.B. beim Stadtsportbund oder Landesverband, zu wenden und Fachberatungsstellen einzubeziehen. Für den Leistungssport gibt es zudem die unabhängige Ansprechstelle „Anlauf gegen Gewalt“ bei Athleten Deutschland e.V. Eine weitere unabhängige Ansprechstelle soll zukünftig auch für den Breitensport aufgebaut werden.


Prävention sexualisierter Gewalt ist mittlerweile ein wichtiges Thema für Sportverbände und -vereine. Dennoch scheuen sich viele, damit offensiv in die Öffentlichkeit zu gehen. Was raten Sie Vereinen?


Das Thema auch im Verein offen anzusprechen, ist ja ein wesentlicher Schritt für den umfassenden Schutz; es schafft Vertrauen, sich zu melden und Hilfe zu holen, wenn Gewalt passiert. Wenn Vereine sich scheuen, etwas über sexualisierte Gewalt z.B. auf ihrer Website oder in der Vereinsversammlung zu sagen, signalisieren sie damit zugleich, dass sie die Problematik entweder unwichtig finden oder verunsichert sind, wie sie dies thematisieren können. Beides steht im Weg, wenn Betroffene Hilfe suchen. Der richtige Weg kann also nur darin bestehen, es zum Thema zu machen. Wenn Vereine hierbei Unterstützung suchen, können sie sich dazu an ihre übergeordneten Verbände wenden.


Ein Mittel, mit dem wir als Verband und einige unserer Vereine sehr gute Erfahrungen machen, ist das Kinderschutzsiegel des LSB. Dies zu erwerben bedeutet ja auch, sich sehr intensiv mit der Thematik zu befassen und den Kinderschutz dann im Vereins-Alltag zu leben. Wie sehen Sie das?


Ja, der Erwerb des Kinderschutzsiegels erlaubt einen strukturierten Weg, sich mit Gewalt gegen Kinder im Sport auseinanderzusetzen und geeignete Schutzmaßnahmen einzuführen. Das Siegel sollte jedoch nicht zu dem Trugschluss führen, dass der einmalige Erwerb dieses formalen Zertifikats für immer alle Probleme löst. Der Schutz von Kindern im Sport muss in einer gemeinsamen Kultur fortwährend gelebt werden.


Der BTFB lädt für den Januar 2023 zu einer Kinderschutz-Sport-Konferenz ein, die sich vor allem an die Mitgliedsvereine richtet, jedoch zugleich eine bundesweite Ausstrahlung haben soll. Wie bewerten Sie diese Initiative?


Ich finde alle Initiativen im Sport wichtig, die die breite Bewusstseinsbildung und das Wissen zum Schutz von jungen Menschen im Sport stärken. Besonders für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie sich im Sport gesund und sicher entfalten können. Die Konferenz wird somit einen weiteren Beitrag dazu leisten können, dass sich die Qualität in der Kinder- und Jugendarbeit des Sports weiter verbessern kann – und das begrüße ich ausdrücklich.

 

 

Das Interview führte Gritt Ockert.
Foto: DSHS Köln


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