Interview mit Caroline Sümnick

Kinderschutz – ein stetiger und lebendiger Prozess

 

Zur Person

Caroline Sümnick (28) ist seit 2020 ehrenamtliche Kinderschutzbeauftragte im BTFB. Sie ist zugleich - ebenfalls im Ehrenamt - Vorstandsmitglied der Deutschen Turnerjugend. Zuvor war sie bereits viele Jahre im Vorstand der Berliner Turnerjugend aktiv und hat sich insbesondere in den vergangenen Jahren viel mit dem Thema Schutz vor Gewalt beschäftigt. Hauptberuflich arbeitet sie in einer gesetzlichen Krankenversicherung.

Caro, warum engagierst du dich persönlich gerade für das Thema Kinderschutz?


Das Thema Schutz vor Gewalt ist allgegenwärtig und es ist mir wichtig, dass wir alles dafür tun, dass sich Kinder in Turnhallen sicher fühlen. Wir sind im DTB für die 1,8 Millionen Kinder und Jugendlichen in unserer Turnfamilie deutschlandweit verantwortlich und ich würde mir wünschen, dass jede einzelne Person durch den Sport gestärkt wird.


Was sind deine Aufgaben als Kinderschutzbeauftragte des BTFB?


Zum einen bin ich Ansprechpartnerin, wenn es um Verdachtsfälle bzw. Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen geht. Insbesondere für diejenigen, die dies nicht im eigenen Verein ansprechen möchten. Vor allem aber ist es meine Aufgabe, dem Thema mehr Sichtbarkeit zu geben und zu sensibilisieren. Denn Kinderschutz geht uns alle an. Und wir alle können dafür sorgen, dass wir einen Umgang miteinander pflegen, in dem sich niemand schämen muss, einen Verdacht oder eine Sorge anzusprechen.


Kannst du bitte kurz den Stand der Dinge bzgl. Kinderschutz im BTFB skizzieren?


Im BTFB haben wir zwei geschulte Ansprechpartnerinnen für das Thema, Nicole Greßner als Hauptamtliche und meine Person als Ehrenamtliche. Wir haben ein Schutzkonzept, in dem u.a. Leitlinien zur Prävention zu finden sind und bieten für unsere Vereine regelmäßig Online-Schulungen an, um auch die Übungsleitenden weiter zu sensibilisieren. Und natürlich steht auch noch unsere Kinderschutz-Sport-Konferenz für Januar 2023 an.


Wohin können sich Betroffene wenden, wer hilft?


Die Betroffenen können sich an die Vertrauensperson des eigenen Vereins wenden, alternativ an uns Ansprechpersonen des BTFB, also an Nicole und mich. Auch an den Kinderschutzbund können sich betroffene Personen wenden. Dabei entscheiden sie selbst, wem sie sich anvertrauen möchten.


Wo siehst du als Kinderschutzbeauftragte die größten Baustellen, was sind die dringendsten Aufgaben?


Eine der wichtigsten Aufgaben ist meiner Meinung nach miteinander ins Gespräch kommen. Und dabei nicht immer nur übereinander sprechen, sondern miteinander. Denn Kinderschutz geht uns alle an; Übungsleitungen, Eltern, Kinder, Jugendliche, Ehrenamtliche und noch viele mehr. All diese Menschen sollten sensibilisiert werden. Schutz vor Gewalt meint nicht immer nur sexualisierte Gewalt, es gibt darüber hinaus noch weitere Formen von Gewalt, denen ebenfalls niemand ausgesetzt sein sollte. Auch hierfür ein Bewusstsein zu schaffen, gehört zu den dringendsten Aufgaben.


Mit welchen Partnern arbeitet ihr vor allem zusammen?


Einige davon habe ich bereits als Ansprechpersonen benannt, wir pflegen eine sehr gute Zusammenarbeit mit Sabine Bresche vom Kinderschutzbund, die auch ein Teil unserer Arbeitsgruppe ist. Aber auch mit dem Landessportbund Berlin arbeiten wir eng zusammen und tauschen uns aus.


Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um sexualisierte Gewalt zu verhindern?


Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist Aufklärung und Sensibilisierung aller. Dazu gehört vor allem das Thema Grenzen setzen. Wir sollten Kindern von klein auf beibringen, dass auch sie Grenzen setzen können und dürfen. Gleichwohl müssen Grenzen auch akzeptiert werden, von allen Beteiligten.


Ein weiterer Aspekt ist eine Kultur des Hinsehens. Wir alle müssen mit offenen Augen durch die Welt gehen, Dinge ansprechen, die uns nicht richtig erscheinen, Nachfragen bei möglichen Betroffenen und ein offenes Ohr anbieten.


Erforderlich ist auch ein entsprechendes Netzwerk aus Ansprechpartnern und -partnerinnen, die vor allem auch sichtbar sein müssen. In Vereinen müssen die Vertrauenspersonen bekannt sein, alle Beteiligten müssen wissen, an wen sie sich wenden können - und nicht erst danach suchen und fragen müssen, wenn etwas passiert.


Das alles ist ein stetiger und vor allem lebendiger Prozess. Das Thema Schutz vor Gewalt darf nicht in einer Schublade landen und in Vergessenheit geraten. Wir müssen offen und ehrlich darüber sprechen.


Das Thema ist ja nicht einfach. Im Alltag geht es oft um Situationen, in denen sich jemand nicht wohlfühlt, sich aber nicht traut, jemanden daraufhin anzusprechen. Es gibt sicher auch berechtigte Unsicherheiten, z.B. bei Übungsleitenden - wie kann im Training die Balance gelingen zwischen erforderlicher Distanz und emotionaler Zuwendung, die gerade bei Kindern ja ganz wichtig ist?


Einer der wichtigsten Bausteine ist meiner Meinung nach die Kommunikation. Vielleicht ist einigen das Prinzip „Choice - Voice – Exit“ ein Begriff. Demnach sollten alle Beteiligten immer eine Wahl haben, ob sie sich in der Situation befinden wollen (Choice), sie sollten immer eine Stimme haben, um ihre Interessen deutlich zu machen (Voice) und sie sollten die Situation immer verlassen können (Exit).


In der Praxis kann dies zum Beispiel bedeuten, dass eine Übungsleitung das Kind zunächst fragt, ob es getröstet und / oder in den Arm genommen werden möchte und die Meinung des Kindes dann auch entsprechend akzeptiert wird.


Welche Rolle spielt die gesamtgesellschaftliche Einordnung des Themas – MeToo-Bewegung, Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt im Sport, Veröffentlichung von diesbezüglichen Studien etc. Erleichtert diese Entwicklung eure Arbeit?


Natürlich spielt das gesellschaftliche Geschehen auch immer eine Rolle, auch beim Thema Schutz vor Gewalt. Die letzten Jahre haben erschreckende Zahlen hervorgebracht, sowohl im Sport als auch in anderen Kontexten. Das macht es manchmal einfacher zu argumentieren, wie wichtig die Beschäftigung mit dem Thema ist. Gleichwohl hat die vergangene Berichterstattung auch nicht immer ein positives Bild auf den Sport geworfen. Auch deshalb sehe ich es als unsere Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass Turnhallen zu einem sicheren Ort gehören.


Der DTB hat erfolgreich die Initiative „Leistung mit Respekt“ ins Leben gerufen – inwieweit tangiert das eure Arbeit bzw. fließen die Ergebnisse mit ein?


Der Prozess hat einige Baustellen aufgedeckt und uns verdeutlicht, woran wir noch arbeiten müssen. Die Initiative hat den Fokus auf dem Leistungssport gelegt, jedoch haben Studien wie „Safe Sport“ uns traurige Gewissheit gebracht, dass Gewalt im Sport kein reines Problem des Leistungssports ist. Daher fließen die Ergebnisse nun in unsere tägliche Arbeit ein und wir müssen die gewonnen Erkenntnisse in die Gesamtstrukturen bringen und den Weg weiter gehen. Denn auch wenn wir mit „Leistung mit Respekt“ einen guten Schritt in die richtige Richtung gegangen sind, sind wir noch nicht am Ende angelangt.


Was sagen euch die Vereine – was hindert sie, sich mit dem Thema offensiv zu befassen bzw. was benötigen sie an Unterstützung vom Verband?


Kein Verein, mit dem ich gesprochen habe, hält das Thema für unwichtig, aber das häufigste Gegenargument, wenn man es denn so nennen kann, sind personelle Ressourcen. Gerade kleine Vereine haben Schwierigkeiten, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Dazu steht am Anfang häufig auch die Unwissenheit, wo sie am besten ansetzen könnten. Was muss alles bedacht werden? Wer ist wofür verantwortlich? An dieser Stelle kann ich nur ermutigen: Jeder Schritt, egal wie klein, ist besser als Stillstand. Und es gibt ja unsere AG, die gern mit Informationen und Kontakten weiterhilft.


Wie wichtig sind Zertifikate wie das Kinderschutz-Siegel des LSB, wie ist das Feedback der zertifizierten BTFB-Vereine?


Das Kinderschutz-Siegel des LSB ist für Vereine ein tolles Zertifikat, um öffentlichkeitswirksam zu zeigen, dass sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben und wie wichtig ihnen das Thema ist. Für Familien, die auf der Suche nach einem Verein sind, kann dies ein guter Indikator sein, dass in Vereinen mit diesem Siegel bereits Maßnahmen gibt, die Kinder und Jugendliche schützen.


Der BTFB / die BTJ gehen mit der Kinderschutz-Sport-Konferenz im Januar 2023 neue Wege. Was soll die Konferenz bewirken, was wollt ihr erreichen?


Diese Konferenz führt den Weg fort, den wir bereits mit den regelmäßigen digitalen Schulungen gegangen sind. Engagierte sollen die Möglichkeit bekommen, sich in dem Thema weiterzubilden, aber auch die Möglichkeit bekommen, sich auszutauschen und zu vernetzen.

 

 

 

Das Interview führte Sonja Schmeißer.
Foto: Juri Reetz


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