Ronja Mocker

Ausführliche Fassung des Textes aus dem Magazin BewegtBerlin, Nr. 2 (März/April 2022)

 


Zur Person

Ronja Mocker vom SC Berlin e.V. ist Trainerin in der TTS Maxi Gnauck und BTFB-Kampfrichterwartin Gerätturnen weiblich. Die 33-Jährige arbeitet als Marketing-Managerin.

 


Respekt bedeutet für mich Achtung und Anerkennung des Gegenübers. Aus meiner Sicht darf es dabei keine Rolle spielen, in welcher Position sich die Parteien einander gegenüber befinden. Altersunterschiede, Geschlechter, Sexualität, Bildungsstände, Intelligenz, vermeintlicher gesellschaftlicher Status, Hierarchie im beruflichen, Vereins- oder Schulumfeld und andere Unterschiede sollten in Hinblick auf die gegenseitige Achtung keinen Unterschied machen. Gefühle, Wünsche und fundierte Meinungen eines jeden sollten Beachtung finden.


Ich glaube nicht, dass es per se Personen geben sollte, denen als „Respektsperson“ prinzipiell mehr Respekt gegenüber erbracht wird als anderen. In Bezug auf spezielle Situationen und Entscheidungen hingegen haben es manche Personen aufgrund ihres Wissens- und Erfahrungsschatzes oder herausragender Leistungen verdient, als Experten eine Führungsrolle einzunehmen und andere als Wort- und Handlungsführende anzuleiten und als Vorbilder angesehen zu werden. Klassische Führungsrollen, die man aus dem Alltag kennt, sind Vorgesetzte im Beruf, Lehrer in der Schule, Trainer im Sport, Eltern in der Familie etc. Damit ihnen ihr Gegenüber diese Führungsrolle zugesteht, den Empfehlungen nachkommt, der Anleitung folgt, sind transparente Kommunikation, Ehrlichkeit und Empathie wichtige Attribute im Umgang miteinander.


Respekt sollte man sich in meinen Augen nicht verdienen müssen. Jeder sollte seinem Gegenüber Respekt schenken. Immer. Überall. Bedingungslos.


Schaut man sich Nachrichten und Schlagzeilen an, in denen von Helfenden und Polizisten berichtet wird, die in ihrem Alltag mit Anfeindungen und Angriffen konfrontiert sind, frage ich mich: Wo sind wir gesellschaftlich falsch abgebogen? Wann haben wir als Gesellschaft versäumt, unseren Kindern mitzugeben, dass „Du“ genauso wichtig bist wie „Ich“?. Wie haben wir als Gesellschaft bewirkt, dass aus den damaligen Kindern, die nach jeder noch so kurzen neuen Begegnung auf dem Spielplatz – egal wie unterschiedlich die anderen Kinder aussahen, gesprochen haben, gewirkt haben – ihren Eltern von einem neuen Freund berichtet haben, heute Erwachsene geworden sind, die nun in Begegnungen zuerst einen Gegner sehen und sich selbst als „wichtiger“ als der andere behaupten wollen? Und das umso stärker, je größer die offensichtlichen Unterschiede sind. Haben wir unsere Kinder zu sehr als Prinzessinnen und Prinzen behandelt und uns als Eltern untergeordnet, sodass sie gelernt haben, dass sie wichtiger sind als wir? Oder haben wir sie zu stark bevormundet, sodass sie gelernt haben, ständig kämpfen und sich selbst durchsetzen zu müssen, um endlich gehört zu werden?


War früher alles besser in Sachen Respekt? So richtig kann ich das gar nicht beurteilen. 1969 forderte Aretha Franklin in ihrem Song „RESPECT“ bereits „just a little respect“ von ihrem Mann und verlieh damit der Frauenrechtsbewegung ihre Stimme, in der 50 Prozent der Bevölkerung von den anderen 50 Prozent ihren gebührenden Respekt und Gleichberechtigung einforderten. Hat sich die Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft also nur verschoben? Ist Respektlosigkeit heute wirklich häufiger oder wird ihnen in den Medien jetzt mehr Raum gegeben (in Nachrichten, in Kommentarspalten, mit Dislike-Buttons)? Dazu kann man nur mutmaßen.


Eins ist jedoch klar: Egal, wie die Entwicklung in der Vergangenheit war, wir können das Jetzt und die Zukunft gestalten und Respekt neu etablieren. Dazu ist Kommunikation der Schlüssel. Wir müssen eine bessere Streitkultur lernen. Dort, wo zwei Meinungen aufeinandertreffen, müssen wir lernen, dass sie nebeneinander existieren dürfen. Wir müssen lernen zuzulassen, dass der andere seinen Weg geht, auch wenn wir für uns diesen Weg ausschließen. Wir müssen lernen, unseren Weg sachlich zu erklären, aber aufhören, andere bekehren zu wollen. Wir müssen den Weg des anderen verstehen wollen und aufhören, ihn von vornherein abzutun. Im gemeinsamen Dialog müssen wir eine gemeinsame Wirklichkeit für alle begreifbar machen, die Raum für gute Entscheidungen schafft.


Den Grundstein dafür legen wir im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft. Als Erwachsene sollten wir in Konflikten aktiv hinterfragen: Warum reagierst Du so? Was wünschst Du Dir? Warum ist Dir das wichtig? Und selbst offenbaren: Was empfinde ich dabei. Was wünsche ich mir. Warum ist mir das wichtig.


Wir sollten dort, wo wir bei Kindern und Jugendlichen untereinander respektloses Verhalten beobachten, eingreifen und empathisch beide Positionen moderieren. Gerade kleinere Kinder erkennen oft noch gar nicht, dass ihre eigene Handlung dem Gegenüber respektlos ist und einen negativen Effekt auf den anderen hat. Das bedarf Erklärung.


Respekt vermittelt sich dann von selbst. Was man selbst erfährt und erlebt, ist man bereit, für andere erlebbar zu machen. Ein Kind, das an geeigneter Stelle bei Entscheidungen für eine Gruppe wie Familie oder Trainingsgruppe ein Mitspracherecht bekommt und damit ein positives Erlebnis hat, gibt dieses Mitbestimmungsrecht in späteren Situationen mit anderen Personen weiter. Es erlebt die eigene Anerkennung durch andere und schenkt dann auch anderen Anerkennung.


In Sport und Training kann man diese Erlebnisse als Trainer ganz leicht erzeugen, indem man die jungen Athleten an geeigneten Stellen das Training mitgestalten lässt. Welches Spiel will in Erwärmung oder als positiver Abschluss gespielt werden? In welcher Reihenfolge wollen alle Kinder an der Reihe sein? Welches der vom Trainer vorbereiteten Kraftprogramme will absolviert werden? Welche individuellen Elemente wollen weiterentwickelt werden? Welche Abweichung vom konzipierten Trainingsplan wollen wir an einem „schlechten Tag“ vornehmen, damit er trotzdem produktiv bleibt und man mit einem guten Gefühl die Halle verlässt?


Über verschiedene Entscheidungssysteme in der Gruppe, wie Abstimmung, Gruppendiskussion, alternierende Führung und so weiter lernen sie, einander zu zuhören, erleben respektvollen Umgang miteinander und erfahren Anerkennung der eigenen Entscheidung durch den Trainer. Bei Individualentscheidungen schafft der offene Dialog mit dem Trainer eine positive Trainingsatmosphäre, Vertrauen in sich selbst und in den anderen. Die sportliche Leistungsentwicklung kann dabei also optimal als Vehikel der persönlichen Entwicklung dienen, indem wir als Trainer Umgang und Mitbestimmung altersgerecht und respektvoll gestalten. Jugendliche Athleten kann man mehr Mitgestaltung zugestehen als den jüngeren Kindern. Mitgestaltung ist dort angebracht, wo der Athlet die Tragweite der Entscheidung begreifen kann. Als Trainer verhalten wir uns respektvoll, indem wir diese Freiheiten zugestehen.


Die DTB-Kampagne „Leistung mit Respekt“ ist der erste erfolgreiche Schritt in die richtige Richtung auf einem langen Weg des Wandels, der nie zu Ende geht. Die Transparenz des Projektes, das Infragestellen der historisch gewachsenen Kultur, Systeme und Prozesse und die Beteiligung aktiver und ehemaliger Athleten, um Erfahrungen und Erlebnisse für alle Personen im Spitzensport wahrnehmbar zu machen, ist der Grundstein für die Weiterentwicklung des Turnsports – hin zu einem Trainingsumfeld, in dem Respekt, Persönlichkeit und Spitzenleistung gleichermaßen Platz haben.


Ob im Beruf oder als Trainer – Respekt und Wertschätzung muss dafür von beiden Seiten in gleichem Maße entgegengebracht werden, um dieses fruchtbare Umfeld für Entwicklung zu schaffen, ideale Synergieeffekte zu erzielen und die bestmögliche Leistung entwickeln zu können. Du bist genauso wichtig wie ich.


Besondere Hochachtung habe ich vor Mut. Ich bewundere Personen, die mutig genug sind, mit ihrem Handeln Wandel anzustoßen und zu Ethik, Moral und Fairness anzuhalten, obwohl sie sich damit bewusst dem Risiko auf negative persönliche Konsequenzen aussetzen.

 


Foto: Juri Reetz


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