Interview mit Dr. Tim Fleiner

Lebensqualität erarbeiten und erhalten – bis ins hohe Alter

 

Zur Person

Tim Fleiner ist Sportwissenschaftler und Physiotherapeut und am Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Dieses befasst sich in Forschung und Lehre damit, wie und warum sich im Verlauf des Alterns körperliche Aktivität und Funktionsfähigkeit verändern. Die Forschungsergebnisse werden für die Entwicklung von Interventionen genutzt, die es Menschen ermöglichen, ein aktives und selbstständiges Leben bis ins hohe Alter zu führen.

Herr Dr. Fleiner, hundertste Geburtstage werden in den nächsten Jahrzehnten eher Normalität sein. Und jeder und jede will doch alt werden und dabei jung bleiben… Was bedeutet „Aktives Altern“?

Wir wissen, dass die nächsten Jahrzehnte für uns durch den demografischen Wandel eine große gesellschaftliche Herausforderung bedeuten. Selbstbestimmtheit ist dabei der zentrale Aspekt. Also, dass jeder frei entscheiden kann, wie er leben will. Dabei sieht das selbstbestimmte Leben sehr individuell aus, jeder sieht aktives Altern für sich anders. Die Lebensformen im Alter bestimmen, wie aktiv jemand ist und sich mit der Gesellschaft auseinandersetzt. Entscheidend ist auch der Aktionsradius, die Gestaltung des Alltags, das soziale Umfeld mit Kindern oder Enkelkindern oder auch einem Hund. Aktives Altern bedeutet: „Wer rastet, der rostet“ – das ist ein zentrales Thema.


Wie kann das gelingen? Was kann jeder selbst im Alltag für sich tun?

Man spricht im Bereich des erfolgreichen Alterns von mehreren Säulen der Prävention. Es gibt die Säule der Bildung und kognitiven Stimulation. Es gibt die Säule der Ernährung, bei der die gesunde Kost, wie die sogenannte mediterrane, sehr von Vorteil ist. Die dritte Säule ist die Sozialisation, also das gemeinsame Leben. Hier spielt das Thema Einsamkeit und depressive Erkrankungen mit rein, wenn jemand nicht in seinem Umfeld verankert ist. Und als vierte Säule müssen wir immer mehr auf Bewegung im Alltag achten. Diese vier Aspekte sind die modifizierbaren Risikofaktoren auch für die Entstehung einer Demenzerkrankungen, soweit wir das heute wissen.


Was sind aktuelle Ergebnisse aus der Alters-Forschung in Sachen Bewegung?

Jede Bewegung ist besser als keine Bewegung. Auch wenn es nur kleine Häppchen sind und man nur kurz außer Atem kommt, ist damit ein Effekt verbunden. Wir wissen aber auch, dass ein gezieltes Training gewisse Effekte mit sich bringt – das heißt, nach Plan, strukturiert, mit Messungen zuvor und danach. Da gibt es klassische Dimensionen wie das Ausdauertraining, das gute Effekte auf das Herz-Kreislauf-System hat. Das gezielte Krafttraining bewirkt ein Muskelaufbau. Bei älteren Personen ist auch das Thema der Knochensubstanz wichtig. Hier sind im Training generell Stoßreize wichtig, um die Knochendichte zu erhalten und weiter aufzubauen. Wir wissen, dass Koordinationstraining vor allem die Reaktionsfähigkeit und die Gleichgewichtsfähigkeit verbessert, was für den Alltag entscheidend ist. Und auch Beweglichkeit ist trainierbar. Auch Funktionstraining, also ein Krafttraining, das an die Alltagsfunktion adressiert ist, beugt in Kombination mit Gleichgewichtstraining Stürzen vor.


Ist es für gesundes Altern wirklich entscheidend, wie man mit 20, 30 oder 40 lebt?

Es ist tatsächlich so, dass der Lebensstil entscheidend ist. Das Altern beginnt ja nicht auf einmal mit dem Eintritt in das Rentendasein, sondern eigentlich mit der Befruchtung der Eizelle. Wir wissen, dass im Lebensverlauf die Kraft, die Ausdauer und die Knochenmasse weniger werden. Man kann allerdings mit Bewegung für Verzögerungen sorgen, körperliche Inaktivität ist vermeidbar.

Der Wissenschaftler Prof. Förstl aus München plädiert dafür, dass es die einfache Bürgerpflicht ist, für das Alter vorzubeugen. Ein sportlicher Ruck durch Deutschland ist dringend notwendig!


Sie sagen, dass es nie zu spät ist, mit dem Sport anzufangen. Wozu, das Altern kann doch letztlich niemand aufhalten…?

Das stimmt. Das Ziel ist nicht, das Altern aufzuhalten, sondern die Lebensqualität zu erarbeiten und zu erhalten, um z.B. möglichst lange zu Hause bleiben zu können. In besonderen Situationen, z.B. bei einem akuten Infekt oder nach einem schweren medizinischen Eingriff, sollte man sich schonen. Ansonsten ist Schonung die falsche Prämisse. Es gibt keinen falschen Zeitpunkt für Training.

Das Interessante ist, dass besonders Menschen, die sich bislang wenig bewegt haben, am meisten und am besten von Trainingsinterventionen profitieren. Auch in der Hochaltrigkeit, in Kliniken, in Pflegeheimen und bei zu Hause lebenden Menschen sehen wir das.


Wie wichtig ist neben der Bewegung die Bindung an einen Sportverein mit regelmäßigen Angeboten?

Diese Bindung ist entscheidend. Es ist wichtig, gemeinsam aktiv zu sein. Nur wer eine Regelmäßigkeit reinbringt, der erzielt auch Effekte. Eine Trainingseinheit für Ältere muss mindestens zweimal pro Woche durchgeführt werden, um auch wirklich einen Trainingsreiz zu setzen. Auf diesem Weg hilft natürlich die Gruppe an sich bzw. der Sportverein, am Ball zu bleiben. Zusätzlich bringt die Sozialisation einen wichtigen Beitrag – also aus dem Haus gehen, zusammen etwas tun, Verantwortung übernehmen und gebraucht zu werden.


Sind altershomogene Gruppen oder „gemischte Gruppen“ – also von jung bis alt – vorteilhafter?

In den klassischen Alterssportgruppen sehen wir, dass das Altersbild oft ein Problem ist. Wir kennen das z.B. aus geriatrischen Abteilungen in Kliniken, die auf ältere Personen spezialisiert sind, dass Personen nicht dorthin wollen, weil sie sich „nicht so alt wie die anderen“ fühlen. Diese Altersbilder prägen die Gesellschaft und jeder für sich muss damit einen Umgang finden.

Wichtig ist, Sportgruppen nach körperlicher Leistungsfähigkeit zu ordnen und zusammenzubringen, um möglichst gezielte Trainingsreize einzusetzen. Interessant ist auch hier die soziale Fürsorge und Verantwortlichkeit. Eine gute Möglichkeit ist, z.B. Senioren- und Kinderangebote zu mischen, um dort gemeinsam etwas zu machen.


Sie haben im letzten Herbst einen Podcast veröffentlicht. Was ist die wichtigste Botschaft und kann man den noch nachhören?

Ja, kann man. Es ist ein sportwissenschaftlicher Podcast. Ich spreche viel über den „Methusalem-Komplott“, die Herausforderung unseres demografischen Wandels auf unsere Gesellschaft. (» zum Podium-Cast)


Kliniken sind für ältere Patienten gefährliche Orte. Nicht nur auf Grund der vorliegenden Erkrankung, sondern auch wegen der Immobilität. Wir wissen, dass mobile Patienten, die in die Klinik kommen, sich nicht bewegen, auch wenn sie es könnten. Auffallend ist, dass die Klinikbetten zum Liegen und Sitzen einladen. Man spricht hier von einer „Pyjama-Lähmung“ in der Klinik. Den Abbau der Muskelmasse im Krankenhaus sehen wir als großes Problem, welches auch das Post-Hospitalisierung-Syndrom kennzeichnet. Deshalb versuchen wir ein Bewusstsein für körperliche Aktivität zu schaffen. Also zeigen wir auch bei der Entlassung, wie der Patient sich weiter bewegen kann.


Und Sie selbst – was tun Sie, um bis ins hohe Alter aktiv zu altern?

Ich versuche, in meinem Alltag vielfältige Herausforderungen zu suchen. Zum Beispiel die Wege zur Arbeit für Bewegung zu nutzen. Ich probiere neue Sportarten und Techniken aus, auch neue Spielsportarten. Allein, aber auch gern in Teams. Auch die anderen erwähnten Säulen versuche ich, so gut es geht, abzudecken. Das heißt, Familie und Freundschaften zu pflegen oder selbst viel zu kochen. Damit möchte ich dem Motto „Fit für 100“ näherkommen, um ein selbstbestimmtes Altern zu erlangen.

 


Das Interview führte Gritt Ockert.


Foto: privat


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