Interview mit Jan Holze

Das große Engagement-Potenzial der Jugend

 

Zur Person

Jan Holze (39) ist Diplom-Kaufmann und Volljurist. Sein ehrenamtliches Engagement begann 1995 als Jugendsprecher im SV Fortuna 50 Neubrandenburg. Er baute als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied die Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg-Vorpommern auf. Von Oktober 2016 bis Oktober 2020 war er Vorsitzender der Deutschen Sportjugend und Mitglied des Präsidiums des Deutschen Olympischen Sportbundes. Im Mai 2020 wurde er Gründungsvorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt.

 


Warum engagieren sich Menschen ehrenamtlich? Was macht freiwilliges Engagement aus?

Die Gründe, warum Menschen sich engagieren, sind so vielfältig wie das ehrenamtliche Engagement selbst. Der am häufigsten genannte Grund für ehrenamtliches Engagement ist Spaß am Engagement. Insofern sollten alle Verantwortlichen immer und überall dafür sorgen, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. Bei Älteren rückt daneben noch die Sehnsucht nach Gemeinschaft in den Vordergrund. Jüngere wiederum sehen im Engagement auch eine Möglichkeit, beruflich voranzukommen, indem sie sich Netzwerke durch ein Engagement aufbauen oder besondere Qualifikationen erwerben.

Wichtig zu erwähnen ist auch, dass das Engagement heute – viel mehr als früher – ziel- und ergebnisorientiert erfolgt. Die Engagierten möchten Verantwortung übernehmen und mitgestalten – für die Gemeinschaft, aber ebenfalls für globale Themen wie Klimaschutz, Demokratie, Migration oder die soziale Ungleichheit in der Welt.


Sind Ehrenamtliche die Alltagshelden von heute? Ohne sie wäre möglicherweise das Sportsystem nicht lebensfähig...

Mit dem Begriff „Helden“ tue ich mich schwer. Helden kommen und gehen. Helden werden gefeiert, sie geraten auch schnell wieder in Vergessenheit oder werden von anderen „Helden“ abgelöst. Richtig ist aber, dass ohne Ehrenamtliche nicht nur das Sportsystem nicht lebensfähig wäre, sondern unser gesamtes Gemeinwesen. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass zu einem funktionierenden Staat mehr gehört als Gesetze, Parteien und eine funktionsfähige Verwaltung.

Unser Gemeinwesen, unsere Demokratie braucht Menschen, die bleiben und außerhalb des Scheinwerferlichts uneigennützig sich in ihrer Freizeit als Trainerinnen in die Turnhalle stellen, Sprachunterricht für Geflüchtete anbieten oder die dafür sorgen, dass die Freiwillige Feuerwehr im Ort weiter ihren Dienst tun kann.


Wie kann die Nachwuchsgewinnung für die Vereine und Verbände gelingen? Welche Erfahrungen haben Sie hier aus Ihrer eigenen Arbeit?

Wenn wir von Nachwuchsgewinnung sprechen, dürfen wir zunächst nicht nur den Blick auf die junge Generation lenken. Gerade unter denjenigen, die vielleicht am Ende ihrer Berufslaufbahn stehen, ist der Wunsch und das Bedürfnis, sich für die Gesellschaft zu engagieren, sehr groß. Aber auch unter Jugendlichen gibt es sehr viel Engagement-Potenzial. Laut der 2019 durchgeführten Jugendbefragung des Dritten Engagementberichts engagieren sich rund 64 Prozent der 14- bis 28-Jährigen für einen gemeinnützigen Zweck. Das Vorurteil, dass Jugendliche sich nicht engagieren, stimmt demnach so nicht. Was wir beobachten, ist, dass Jugendliche sich nicht unbedingt in starre Engagementstrukturen zwängen lassen wollen. Hier liegt eine Chance, aber auch eine Aufgabe für Vereine, neue Formen des Engagements zu entdecken und gemeinsam mit den Jugendlichen zu gestalten. In der Deutschen Sportjugend haben wir gerade mit Juniorteams tolle Erfahrungen gemacht; wenn junge Menschen unabhängig von einem Amt projektorientiert zusammenkommen und Dinge gestalten. Aber auch das Modell der Vorstandsassistenz in der Deutschen Turnerjugend gefällt mir gut.


Mit der kürzlich neu gegründeten „Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ wollen Sie bürgerschaftliches Engagement und besonders das Ehrenamt stärken. Wie sieht das konkret aus?

Die Stiftung werden wir als Kompetenz- und Servicezentrum rund um die Themen Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement aufbauen. Dort werden sich alle Engagierten hinwenden können, die sich vielfältigen Herausforderungen für ihr Engagement gegenübersehen. Mit unserem ersten Förderprogramm „Gemeinsam Wirken in Zeiten von Corona“ haben wir ganz bewusst einen Schwerpunkt auf die Themen Digitalisierung, Nachwuchsgewinnung und die Stärkung der strukturschwachen und ländlichen Räume gelegt. Und die Resonanz zeigt, dass wir hier die aktuellen Bedarfe getroffen haben. Über 12.500 Anträge sind bei uns in nur sieben Wochen eingegangen. Aus diesem Fundus kann die Stiftung nun schöpfen. In den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wir unsere Angebote in den Themenfeldern Digitalisierung, Nachwuchsgewinnung sowie Struktur- und Innovationsstärkung weiter, um passgenaue Unterstützungsangebote für Ehrenamt und Engagement zu bieten.


Welche Maßnahmen zur Förderung des Ehrenamtes liegen Ihnen besonders am Herzen?

Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Es gibt viele gute Ideen, die mit und durch Engagierte bereits entwickelt wurden; gerade auch im Bereich der Digitalisierung. Hier werden wir aufzeigen, was es schon alles gibt. Auch werden wir die Verbreitung guter Ideen unterstützen. Zudem wollen wir für Transparenz in der Förderlandschaft sorgen und Interessierte hierbei gern an die Hand nehmen. Ganz persönlich ist mir der Bereich Politikberatung wichtig. Die vielen Knackpunkte und Hürden, um tatsächlich Spaß am Engagement zu entwickeln, sind rechtlicher Natur. Mit den Erkenntnissen aus der Vereins- und Verbandslandschaft wollen und werden wir auch bei staatlichen Institutionen den Finger immer wieder in die Wunde legen, um Verbesserungen für das Ehrenamt zu erreichen.


Wer kann die Angebote Ihrer Stiftung nutzen?

Wir möchten Ansprechpartner für die 30 Millionen Menschen sein, die sich tagtäglich in unserem Land in über 600.000 Vereinen und Initiativen engagieren. Darüber hinaus möchten wir natürlich auch diejenigen ansprechen, die bisher noch keinen Zugang gefunden haben, um sich ehrenamtlich zu engagieren. Als Bundesstiftung verstehen wir uns auch als Partner, sowohl für Politik und Verwaltung als auch für Akteure der organisierten und nichtorganisierten Zivilgesellschaft. Hier sehe ich die Stiftung als eine Art Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Ebenen sowie den staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren.


Sie engagieren sich selbst seit Ihrer Jugend ehrenamtlich im Kinder- und Jugendsport. Was hat Sie motiviert, welche Erkenntnisse konnten sie beruflich nutzen?

Ich wurde von den Vereinsverantwortlichen im Handballverein angesprochen, ob ich nicht Lust auf ein Engagement habe. Zwar wusste ich nicht, was mich erwarten würde; aber Lust auf Mitgestaltung hatte ich schon damals. Für meinen beruflichen Kontext kann ich sehr von den vielfältigen Erfahrungen aus dem Ehrenamt profitieren. Ob es die Leitung von Gremiensitzungen, das Halten von Vorträgen oder die Moderation von Tagungen ist … Das sind alles Dinge, die ich im Ehrenamt gelernt habe, auch wenn ich nie geplant hatte, diese in meinem Hauptberuf einmal anzuwenden.


Es wird verbreitet, dass in der jetzigen Zeit der Corona-Pandemie den Vereinen die Ehrenamtlichen „weglaufen“. Schätzen Sie das auch so ein oder ganz anders: Dass die Besinnung auf wichtige Werte ehrenamtliches Engagement eher stärkt?

Die letzten Monate haben erneut die große Bereitschaft auf Seiten der Bevölkerung gezeigt, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Nachbarschaftshilfen und -netzwerke sind über Nacht entstanden. Das Angebot war vielerorts größer als der Bedarf. Und dennoch stellt die Corona-Pandemie viele Vereine vor riesige Herausforderungen. Das gilt vor allem für die Aufrechterhaltung des Vereinsbetriebs als solchem und damit auch für die finanzielle Situation des Vereins, den Erhalt der Mitglieder- und eben der Engagementstruktur. Wir müssen alles daransetzen, dass die bei uns bestehende Vielfalt der Engagement- und Ehrenamtsstruktur auch nach Corona erhalten bleibt. Deshalb müssen wir hier Perspektiven bieten, durch die Vermittlung von Motivation zum Weitermachen, Anerkennung des Geleisteten, aber auch durch konkrete Förderung, um den Vereinsbetrieb aufrecht zu erhalten. Oder wie wir es mit unserem Förderprogramm gemacht haben, um digitale Teilhabe zu ermöglichen, sodass zum Beispiel Vorstandssitzungen auch digital abgehalten werden können.


Welche Angebote oder Voraussetzungen sind heute für gute ehrenamtliche Arbeiten notwendig? Wo gibt es noch Nachholbedarf?

Wir brauchen in jeder Hinsicht mehr Anerkennung für das Ehrenamt. Anerkennung sind für mich nicht nur der warme Händedruck und die Verdienstplakette. Anerkennung drückt sich für mich auch durch Beratungs- und Qualifizierungsprogramme für Engagierte sowie einfach zugängliche und passgenaue Förderprogramme aus. Der Abbau rechtlicher Hürden oder auch Verwaltungsvereinfachungen sind Maßnahmen, die für mich ebenfalls zu einer Anerkennungskultur dazugehören. Wir werden uns jedenfalls dafür engagieren.


Mit welchen Tipps und Argumenten würden Sie jemanden für eine ehrenamtliche Tätigkeit motivieren?

Für mich ist der erfolgreichste Weg, um Engagierte zu gewinnen, die persönliche Ansprache. Sprechen sie vielversprechende und motivierte Leute an und begleiten sie diese konsequent in ihrer Engagementlaufbahn, durch Tipps und Tricks, Kontakte, Informationen und begleitende Qualifizierung. Lasst diejenigen durchaus auch von den Vorzügen eines Engagements wissen. Freiwillig und uneigennützig im Ehrenamt heißt nicht, dass man dies nicht auch mit positiven Effekten für sich selbst verbinden kann. Dabei kann die Teilnahme an einer Qualifizierungsreihe oder das Kennenlernen wichtiger und interessanter Personen auch ein Motivationsschub sein.


Was wünschen Sie sich für die Zukunft, für die ehrenamtliche Arbeit?

In der Stiftung arbeiten wir daran, Engagement möglich zu machen. Das heißt, wir setzen uns für Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen ein, sodass Engagierte, die das wollen, sich auch mit Spaß und Freude ihrem Ehrenamt widmen können und dabei von bürokratischen Herausforderungen verschont bleiben.

Ich hoffe, dass wir so noch mehr Menschen zu einem Engagement für uns alle motivieren können. Nur so gelingt Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wenn die Stiftung dazu einen Teil beitragen kann, wäre aus meiner Sicht mit unserer Arbeit schon viel erreicht.


Das Interview führte Gritt Ockert


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