Interview mit Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper

Es geht um Teilhabe weit über den Sport hinaus

 

Zur Person

Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper, Professorin an der Freien Universität Berlin Vorsitzende der Deutschen Olympischen Akademie und des Deutschen Sport & Olympia Museums, Mitglied der IOC-Kommission „Olympic Education“, Ehrenpräsidentin des „International Council of Sport Science and Physical Education“, Ehrenmitglied des LSB Berlin

Frau Professor Doll-Tepper, wie lautet Ihre persönliche Definition von Inklusion?

Für mich bedeutet Inklusion die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an allen gesellschaftlichen Bereichen, so auch in den Bereichen Bildung und Sport.


Wir sprechen von Inklusion im und durch Sport - was ist damit gemeint?

Inklusion im und durch Sport bedeutet für den organisierten Sport Impulsgeber zu sein für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, d.h., es ist eine Verbandskultur zu entwickeln bzw. auszubauen, in der Menschen mit Behinderungen ein Wunsch- und Wahlrecht haben, in welcher Weise sie am Sport partizipieren wollen. Das Strategiekonzept des DOSB, das insbesondere die Mitgliedsorganisationen einbezieht, hat zentrale Bereiche identifiziert, dazu gehören Barrierefreiheit/Zugänglichkeit, Angebote, Qualifizierung, Strukturen und Kooperationen. Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass es regelmäßige Monitorings gibt, um Stärken und Schwächen in der aktuellen Umsetzung zu identifizieren und entsprechende Schlussfolgerungen für die Praxis zu ziehen.


Aus globaler Sichtweise: Wie hat sich weltweit und in Deutschland diesbezüglich das gesellschaftliche Klima verändert seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009?

Durch das Inkrafttreten der UN-BRK hat es viele neue Impulse und Initiativen im Sport gegeben auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Hier können viele Beispiele angeführt werden: Der DOSB hat 2010 die AG Inklusion eingerichtet, in der alle Behindertensportverbände, die LSB, die Spitzenverbände, die Verbände mit besonderen Aufgaben und die Deutsche Sportjugend zusammenarbeiten und Konzepte und Strategien für die Umsetzung der Inklusion entwickeln.


„Jugend trainiert für Olympia“ ist vor 10 Jahren erweitert worden um den Begriff „Paralympics“. Tatsächlich nehmen seither aber Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Behinderungen, also auch Jugendliche mit Hörschädigungen und geistiger Behinderung teil.


Auch auf internationaler Ebene gibt es viele Beispiele für Wettkämpfe, in denen Wettbewerbe für Athleten und Athletinnen mit einer Behinderung integriert sind, z.B. die ICF Canoe Sprint & Paracanoe World Championships in diesem Jahr. Insgesamt würde ich sagen, dass es deutliche Fortschritte bezüglich der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen gegeben hat, dass wir aber noch einen langen Weg vor uns haben, ehe wir von einer zufriedenstellenden Situation weltweit sprechen können.


Welche Rolle spielt die Special Olympics Bewegung in diesem Kontext?

Der Special Olympics-Bewegung kommt bei der Umsetzung der UN-BRK eine zentrale Rolle zu, denn es geht darum, Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer Mehrfachbehinderung noch viel stärker am Sporttreiben zu beteiligen und ihre Stimme auch in den Führungsgremien bei Entscheidungen zu hören. Ein hervorragendes Beispiel sind für mich die Gremienbesetzung bei SOD und die Vorbereitungen für die SOWG, in die Menschen mit geistiger Behinderung in die verschiedenen Planungsarbeiten für die Sport-, Kultur und Wissenschaftsveranstaltungen aktiv einbezogen werden. Diese Entwicklungen sind m.E. deshalb so wichtig, weil gezeigt wird, dass all diese Bestrebungen weit über den Sport hinausgehen, denn es geht um gesellschaftliche Partizipation, Sichtbarkeit und Anerkennung. Besonders hervorzuheben sind die Wettbewerbe im „Unified Sport“, die zeigen, wie gemeinsames Sporttreiben im Wettkampf von Menschen mit und ohne Behinderung gelingen kann.


Was können die Weltspiele in Berlin aus Ihrer Sicht bewirken?

Die Weltspiele in Berlin können ein Signal für die Inklusion sein, das – so hoffe ich – weltweit Wirkung zeigt. Wichtig ist es, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung und einer Mehrfachbehinderung an Lebensqualität gewinnen, und zwar an vielen Orten auf der Welt. Einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis füreinander leistet dabei das „Host Town Program“ im Vorfeld der SOWG, das eine großartige Möglichkeit der Begegnung und des Kennenlernens bietet.


Nachhaltigkeit spielt im Konzept der Weltspiele eine ganz herausragende Rolle. Inwiefern könnte das beispielgebend für weitere Großportveranstaltungen sein?

Nachhaltigkeit war von Beginn an bei der Bewerbung und bei der Planung und Vorbereitung ein zentrales Thema. Um Veränderungen in der Gesellschaft konkret feststellen zu können, sind wissenschaftliche Studien initiiert worden. Hier sind wir schon sehr gespannt auf die Ergebnisse. Die SOWG können auch beispielgebend für andere Sportgroßveranstaltungen sein, die ebenfalls dem Aspekt der Nachhaltigkeit einen großen Stellenwert einräumen.


Sie kennen Special Olympics und Sie kennen die Turnbewegung – welche Gemeinsamkeiten gibt es aus Ihrer Sicht?

Gemeinsamkeiten zwischen Special Olympics und der Turnbewegung gibt es meines Erachtens viele. Das Sporttreiben kann für die Aktiven auf sehr unterschiedlichem Leistungsniveau betrieben werden, und das Gemeinschaftserlebnis spielt eine sehr große Rolle. Hier kann ich mir sehr gut weitere Kooperationen vorstellen.


Wie könnten Turnerbund bzw. Turnvereine künftig noch mehr für Inklusion tun?

Meine ersten SOWG habe ich 1983 in Baton Rouge, USA, erlebt, wo ich auf Einladung von Eunice Kennedy Shriver, der Gründerin der Special Olympics Bewegung, als Gast teilnahm. Die Turnwettbewerbe vor 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauern sind mir noch sehr lebendig in Erinnerung geblieben. Hier würde ich mir auch bei uns noch mehr Angebote wünschen. Selbstverständlich ist es dafür wichtig, die jeweiligen Übungsleiterinnen und Übungsleiter sowie Trainerinnen und Trainer entsprechend zu qualifizieren.


Was war Ihr schönstes emotionales Erlebnis mit Special Olympics bisher?

Es fällt mir schwer, ein schönstes Erlebnis zu nennen. Es gibt so viele tolle emotionale Erlebnisse, die mich seit 1983 geprägt haben. Die größte Freude ist es für mich, dass nach meinem ersten Besuch bei den SOWG in den USA nun die Spiele in meiner Heimatstadt Berlin stattfinden: 40 Jahre nach meiner ersten Begegnung mit der Special Olympics Bewegung.


Worauf freuen Sie sich, wozu möchten Sie Menschen zu den Weltspielen einladen?

Ich freue mich auf viele großartige sportliche Wettbewerbe von Athleten und Athletinnen aus aller Welt und auf die Begegnungen auch außerhalb der Sportstätten. Ich wünsche mir, dass viele Menschen diese außergewöhnliche Gelegenheit nutzen, um zu erleben, was es bedeutet, „gemeinsam unschlagbar“ zu sein. Ich hoffe, dass die Spiele in Berlin für alle Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis sein werden und dass viele Freundschaften über die Spiele hinaus entstehen.

 

 

Interview: Sonja Schmeißer
Foto: DOSB/Bühler


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