Gespräch mit Martin Hartmann und Claudio Preil

Sprechen wir über Inklusion

 

Zu den Personen

Martin Hartmann, 51, Vizepräsident Deutscher Turner-Bund, Vizepräsident BTFB, Vorsitzender des BTFB-Fördervereins „Berliner Freunde des Turnens“; Unternehmensberater, verheiratet, zwei Söhne.
Claudio Preil, 47, Geschäftsführer des BTFB, Berliner Freunde des Turnens (und B.G. Zehlendorf), Bankkaufmann, Diplomkaufmann, verheiratet, 2 Kinder.

Martin, Claudio - wir haben uns verabredet, um über Inklusion im Sport zu sprechen. Kommen wir gleich zum Thema: Wie inklusiv ist der BTFB aufgestellt?


Martin Hartmann (MH):
Wir haben seit 2019 sowohl im BTFB als auch im gesamten Deutschen Turner-Bund mit der „Regionalliga Inklusion“ ein bundesweites Projekt gestartet, das es uns mit Unterstützung der Aktion Mensch ermöglicht, das Thema Inklusion verstärkt in unsere Turn-Bewegung zu integrieren. Wir beschäftigen Inklusionscoaches, die als Berater fungieren und - das ist tatsächlich noch viel wichtiger - Netzwerke bilden sollen. Um es ganz konkret zu machen: wir beraten zum Beispiel Behörden zu inklusiven Anforderungen beim Sportstättenbau. Dort helfen wir mit entsprechenden Unterlagen, dass Sportstätten unter inklusiven Gesichtspunkten geplant und gebaut werden können.


Es freut mich sehr, dass wir tolle Partner haben, die in der Inklusion tätig sind. Da nenne ich den Behinderten-Sportverband genauso wie Special Olympics, mit denen wir das Projekt gemeinsam gestalten können.


Insgesamt muss ich aber sagen, dass wir als Verband beim Thema Inklusion noch viel Potenzial haben.

Claudio Preil (CP):
Ich glaube, dass das Thema Netzwerk wirklich das Entscheidende ist, wir stehen noch ganz am Anfang. Der größte Pluspunkt ist aus meiner Sicht, dass wir als BTFB sichtbar geworden sind, mit den Netzwerken angefangen haben und enger miteinander zusammenarbeiten.


Ich glaube, dass wir viele Samen gesät haben, auch bei uns im Verband, die wir dann in den nächsten Jahren weiter gießen und beackern müssen.


Wo seht ihr denn die größten Hindernisse oder die größten Erfordernisse, damit sich noch mehrere unserer Vereine öffnen?


MH: Ich bin davon überzeugt, dass der Hauptknackpunkt darin liegt, die Kinder tatsächlich in die Sportvereine zu bringen. Wenn sie denn dort sind, sind nach meiner Einschätzung unsere Vereine bereit und auch gut aufgestellt, die Kinder zu integrieren. Das sehen wir ja bei unseren Showgruppen, bei unseren Veranstaltungen. Das wird vielleicht auch nicht in 100 Prozent der Fälle so stimmen.


CP: Das sehe ich das tatsächlich noch ein bisschen anders. Für mich gibt es zwei große Probleme: Viele Vereine haben nicht genug Übungsleiter, die Infrastruktur ist nicht da ist, die Hallen sind voll, viele Vereine haben keine Kapazitäten, es gibt Wartelisten, gerade im Kinderturnen.


Und sind wir beim zweiten Punkt, wenn der Verein ein inklusives Angebot machen möchte, dann ist das eventuell ein bisschen mehr Aufwand. Inklusion macht nur Sinn, wenn auch die zusätzliche bzw. fachliche Betreuung dafür da ist. Wir müssen das wirklich so machen, dass es auch nachhaltig etwas bringt für alle. Inklusion heißt für mich nicht immer, dass alle alles zusammen machen müssen, sondern alle müssen das zusammen machen, was sie gut zusammen machen können und alle müssen aber auch die Möglichkeit dazu haben, ihr bestes Ziel mit ihren Mitteln zu erreichen.


Aber müssten wir den Blick nicht noch mehr auf die fachliche Ausbildung der Übungsleitenden richten und dabei enger mit Netzwerkpartnern kooperieren?


MH:
Ich sehe das auch so: Wir müssen das Thema Aus- und Fortbildung von Übungsleitenden deutlich fokussieren. Das ist eine unserer Aufgaben, die wir angehen müssen. Und wir sollten jetzt die Chance ergreifen, das auch inklusiv zu tun.


Claudio, ich glaube, der Punkt, den du beschrieben hast, der betrifft die grundsätzliche Mängellage durch die Kapazitätsprobleme, die viele Vereine haben. Das hat mit der Inklusion gar nichts zu tun.


Natürlich ist nicht alles heile Welt ist. Ich sehe schon sehr wohl die Herausforderungen, vor denen wir stehen und vielleicht muss man auch gar nicht an einen ganzen Verein denken, sondern an eine Vereinsgruppe, in dem Prinzip arbeitet, dann stellt sich das alles plötzlich ganz anders dar und gar nicht so herausfordernd und eigentlich ganz normal.


Dazu müssen wir definitiv kommen und dazu, das ist auch ein Kulturwandelprozess, der aber politisch gewollt ist, also politisch meine ich tatsächlich von der Bundespolitik, von der Landespolitik und auch von der Sportpolitik grundsätzlich gewollt ist und auch gefördert wird. Also nicht nur finanziell gefördert wird, sondern auch wertschätzend gefördert wird.


Was können die Weltspiele in diesem Kontext für unseren Verband und für Vereine bewirken?


MH:
Für mich sind die Weltspiele ein absoluter Leuchtturm und auch die Möglichkeit, das Thema Inklusion in die Bevölkerung weiter zu spiegeln, die Begeisterung zu erleben und zu sehen, wie toll Sport auch an dieser Stelle verbindet. Wir haben das im letzten Jahr bei den Nationalen Spielen gesehen, was das bewegt hat und die Weltspiele sind nochmal eine andere Dimension, die zeigen, wie Inklusion funktionieren kann. Und wie gut das auch in unseren Vereinen dann möglich ist. Ich bin davon überzeugt, dass es einen Schub in das Thema Inklusion geben wird.


Zumindest in Deutschland sind jetzt das erste Mal Turnen und RSG im Wettbewerbs-Programm. Wäre es denkbar, dass wir solche Formate im Verband auch auflegen?


CP:
Es muss unser Ziel sein, dass solche Wettkämpfe auch innerhalb unseres Verbandes stattfinden. Letztendlich sind wir der Turn- und Freizeitsport-Bund beziehungsweise der Deutsche Turner-Bund und das heißt, alle turnerischen Wettkämpfe müssen eigentlich in diesen Verbänden stattfinden. Und das gilt aus meiner Sicht auch für die inklusive Form. Da hat sich leider hier in Berlin noch nicht so viel getan, wie wir gehofft haben. Insofern erwarte ich mir einen Riesenschub durch die Special Olympics World Games in diesem Sommer, damit wir hier vorankommen.


Es wäre ja ein Anfang, Special Olympics Wettbewerbe, so wie sie sind, auch bei großen Wettkampfformaten einzubeziehen. Wie das in anderen Ländern schon üblich ist. Das wäre eine riesige Wertschätzung für Menschen mit Behinderung!


MH:
Die Frage bezieht sich aber auch noch weiter, denn da kann man ja noch sehr viel mehr machen. Beim Internationalen Deutschen Turnfest ist ja schon vieles inklusiv gestaltet worden, z.B. die Mitmachangebote. Auch die Kinderturn-Show ist inklusiv. Eine andere Möglichkeit, die sich lohnt, die niederschwellig und einfach wunderbar ist, sind Helfer-Teams, sogenannte Helfer-Tandems.


CP:
Weitere Angebote sind das inklusive Kinderturnen, das Kinderturn-Abzeichen für alle.


MH:
Aber es ist schon richtig: Wenn es uns gelingt, 2025 tatsächlich ein inklusives Format in das Wettkampfprogramm zu integrieren, dann sind wir auch beim Turnfest einen deutlichen Schritt weiter vorangekommen.

 

 

Das Gespräch führte: Sonja Schmeißer
Foto: Juri Reetz


Verbandsmagazin


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