Interview mit Monika Liesenfeld

Wettkämpfe aus psychologischer Sicht

 

Zur Person

Monika Liesenfeld studierte Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln und Psychologie an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie ist hypnosystemische Beraterin und systemische Therapeutin. Seit 2005 ist sie Sportpsychologin am Olympiastützpunkt Berlin (OSP).

Frau Liesenfeld, welche Bedeutung haben aus psychologischer Sicht Wettkämpfe für Sportler? *

Wettkämpfe haben eine sehr große Bedeutung für Sportler, besonders für Leistungssportler. Sie wollen sich messen, wollen sehen, wo siestehen und wollen ein Feedback zu ihrer Leistung. Aber es gibt hier auch Unterschiede. Es gibt aus psychologischer Sicht Differenzierungen bei Wettkämpfen, wenn man zum Beispiel von der Motivation spricht, die dahintersteht. Sportler können leistungsmotiviert, machtmotiviert oder anschlussmotiviert sein. Da hat die einzelne Motivation für den Wettkampf schon eine hohe Bedeutung. Sportler möchten im Wettkampf zeigen, was sie können und auch im Vergleich mit anderen wissen, wo sie stehen. Die Frage ist auch, welcher Anreiz hinter dem Sport steckt. Bei einem Tätigkeitsanreiz mache ich Sport, weil mir die Bewegung Spaß macht, bei einem Zweckanreiz mache ich es wegen meiner Gesundheit und des Wohlbefindens oder weil ich meine Leistung zeigen will.


Sind Wettkämpfe nur etwas für ehrgeizige Leute?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Natürlich braucht man einen gewissen Ehrgeiz und gewisse Anreize für seine Tätigkeiten. Bei einer Leistungsmotivation zum Beispiel möchte ich etwas zeigen. Und einen gewissen Ehrgeiz habe ich natürlich, wenn ich Wettkämpfe mache. Warum soll ich mir das antun, wenn es mir keinen Spaß macht. In der Regel sind Sportler ehrgeizig, haben ihre Leistungsmotivation und wollen ihre Ziele erreichen. Ich habe aber auch Athleten, die mögen das Training, weil es Spaß macht, und sie wollen sich gar nicht in Wettkämpfen messen. Sie machen den Sport für sich und wegen der Leistungsverbesserung.


Inwiefern ist es für Sportler wichtig, den persönlichen Erfolg im Wettkampf zu messen?

Das ist auch ein wichtiger Aspekt. Beim persönlichen Erfolg unterscheiden wir einen intra-individuellen Vergleich, also ich vergleiche meine Leistung mit mir selber, und einen inter-individuellen Vergleich, bei dem ich meine Leistung mit anderen vergleiche. Ganz häufig arbeite ich mit Athleten, die erstmal in ihrem persönlichen Vergleich bleiben. Also: wie kann ich an mir arbeiten und meine eigene Leistung verbessern. Wenn ich zu früh in den Vergleich mit anderen gehe, kann das unglaublichen Druck auslösen. Und wenn ich nur ergebnis- oder vergleichsfixiert bin, kann das zu Frustrationen und Misserfolg führen. Insofern ist es etwas anderes, meinen persönlichen Erfolg im Wettkampf zu messen und meine Leistung mit meiner vorherigen zu vergleichen, als wenn ich mich nur mit anderen vergleiche. Letztendlich brauchen Leistungssportler beides – das Leistungsmessen mit sich selber und mit anderen.


Wie wichtig sind Wettkämpfe für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern?

Das ist eine ganz spannende Frage, bei der die Meinungen auseinandergehen. Aus meiner Sicht sind Wettkämpfe auch für Kinder wichtig. Kinder wollen sich messen, haben eine natürliche Neugierde. Aber Wettkämpfe darf es für Kinder nicht zu früh mit einer reinen Leistungsorientierung geben. Bei dieser zählen natürlich der Vergleich, das Ergebnis, das Gewinnen und ich „bestrafe“ letztendlich Fehler. Dagegen stehen bei einer Aufgabenorientierung eher das Lernen im Mittelpunkt und die Entwicklung von Fertigkeiten sowie die individuelle Leistungsverbesserung. Das ist bei Kindern immens wichtig und ermöglicht ein größeres Engagement und einen besseren Lerneffekt. Was aber nicht heißt, dass Kinder keine Wettkämpfe bestreiten sollen.

Internationale Wettkämpfe finden in immer früheren Altersgruppen statt. Damit tut man den Kindern nicht unbedingt einen Gefallen. Ganz wichtig ist, wie Sportler und Trainer mit den Ergebnissen und den Fehlern umgehen. Fehler sind nichts Schlimmes, sie können gut sein, um sich weiterzuentwickeln. Ein Wettkampf ist also auch ein Element für Lernprozesse und bringt die persönliche Entwicklung in Gang.


Wie kann man Sportler nach Niederlagen motivieren bzw. wie können sie es selbst?

Wenn ich zum Beispiel nur bei der Leistungsorientierung bin, also wenn im Vergleich mit anderen nur das Ergebnis zählt, wird das schwierig. Da sind beim Misserfolg der Frust und der Ärger vorprogrammiert. Wenn ich aber schaue, wo ich stehe und ob ich mich weiterentwickelt habe, dann geht man anders mit den Ergebnissen um. Ich schaue genau mit den Athleten, was im Wettkampf los war, was gut lief und was nicht oder was schon gut geklappt hat. Das Gute vom Wettkampf fällt so oft unter den Tisch und wird oft nicht wahrgenommen. Aber das ist genau das, womit man sich weiterentwickelt und womit wieder Freude und neue Ziele entstehen können. Auch das Ziel muss analysiert werden – war es angemessen oder zu hoch oder zu niedrig?


Die hohe Kunst der Vorbereitung ist, auf den Punkt die Höchstleistungen abzurufen. Welche Rolle spielt die mentale Vorbereitung dabei?

Um Leistungen auf den Punkt abrufen zu können, ist eine mentale Vorbereitung nicht nur über Wochen, sondern über einen viel längeren Zeitraum wichtig. Athleten denken oft, dass ein bestimmter Wettkampf DER perfekte Wettkampf sein muss, um gute Leistungen zu bringen. Aber nein – von der Herangehensweise sollte man im Wettkampf im Vergleich zum Training gar nicht zu viel verändern. Das ist die Herausforderung. Klar hat der Wettkampf Konsequenzen und viele sind zu sehr auf das Ergebnis fokussiert, auf Platzierungen und Medaillen. Gerade dann aber passiert möglicherweise, dass man nicht mehr „im Moment“ ist. Daran arbeiten wir, dass die Sportler im Moment sind. Dazu müssen zu den Ergebniszielen unbedingt Handlungsziele aufgebaut werden. Also was muss ich machen und was brauche ich, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.


Welche Tipps gibt es für Athleten, die aufgrund ihrer Aufregung/Anspannung vor dem Wettkampf als Trainingsweltmeister gelten?

Das ist individuell ganz unterschiedlich und Sportler haben hier ganz verschiedene Strategien. Ich gucke mir Wettkämpfe ganz genau an, wo alles gut gelaufen ist oder was eher noch nicht. Wir schauen auch die Vorbereitung insgesamt an. Ich arbeite viel mit Skalierungen, also frage auf einer Skala von 1 bis 10, wie gut vorbereitet sich der Sportler fühlt oder was er bis zum nächsten Wettkampf noch verändern kann, was realistisch ist. So erfahre ich, ob er aufgeregt ist und wie er sich einschätzt. Darüber kommt man ins Gespräch und schaut dann, was gegen die Aufregung hilft. Wir arbeiten mentale Routinen und Bewegungen durch. Jeder Athlet braucht etwas anderes. Ich arbeite auch mit Visualisierungstechniken, bei denen man sieht, wie der Körper reagiert.


Sind Erfolgserlebnisse bei Wettkämpfen das beste Rezept für mentale Stabilität?

Ja, sie sind ein gutes Rezept! Aber wenn man sich davon abhängig macht, ist es wiederum schwierig. Hier ist eine Fehlerkultur wichtig, also Athleten müssen einen sehr guten Umgang mit Fehlern erlernen. Fehler gehören zum Sport dazu, sonst würde es zum Beispiel beim Fußball keine Tore geben. Die Frage ist, wie geht jemand mit Fehlern um. Man kann aus „negativen Wettkämpfen“ sehr viel lernen. Sportler brauchen gute und schlechte Wettkämpfe für die Weiterentwicklung.


Bei allem Durchhaltevermögen – wie motiviert man sich ohne Wettkämpfe, der Sportart treu zu bleiben und fleißig zu trainieren?

Durch die Corona-Pandemie sind viele Wettkämpfe ausgefallen. Sportlerinnen und Sportler hatten eine schwierige Zeit. Ich kenne leider etliche junge Athleten, die in dieser Zeit aufgehört haben, weil der Sport ohne Wettkämpfe für sie keinen Reiz mehr hatte. Hier ist es wichtig, dass man sich wieder gute Ziele setzt, kleinere Etappenziele. Was geht als Nächstes? Oder welches andere Ziel kann es geben? Es muss einfach immer einen Anreiz für Athleten geben. Im Zusammenhang mit Corona stellte sich auch für viele die Frage, ob man seinen Sport noch ausüben will. Andere wiederum sagen, ich will auf jeden Fall dranbleiben.


Was bewegt tausende Wettkampfsportler, die seit Jahren ihre Wettkämpfe bestreiten und noch nie auf dem Treppchen standen und wissen, dass es auch so bleiben wird?

Es sind meist die Athleten, die für sich selbst ein Ziel haben, die noch nicht an der Leistungsgrenze sind und sich selber weiterentwickeln wollen. Sie haben meist ein sehr starkes individuelles Anreizprofil und sagen: Ich möchte mich verbessern. Egal, wie sie im Vergleich mit anderen stehen. Und dann machen sie weiter. Anderen aber, die ein hohes Anschlussmotiv haben, sind die sozialen Beziehungen oder das Eingebundensein wichtig und nicht das Ergebnis. Das kann auch eine Motivation sein.


Sehr viele Sportler – auch in unserem Verband – konnten in der Corona-Pandemie keine Wettkämpfe bestreiten. Was macht das psychisch mit einem?

Für junge Sportler war das sehr schwierig. Ich arbeite ja viel mit Olympia-Kadern und Perspektivkadern, die in der Pandemie schneller wieder trainieren und auch kleinere Wettkämpfe absolvieren konnten. Wenn man sich aber gar nicht messen kann und man nicht weiß, wo man steht, macht das viele unsicher. Teilweise haben manche Sportler ihren ersten Wettkampf erst wieder nach eineinhalb Jahren gehabt oder sind in die nächste höhere Altersklasse gerutscht. Da sind die Anforderungen höher und man stellt plötzlich seine Leistung in Frage. Aber die meisten Trainer haben das Überbrücken der fehlenden Wettkämpfe gut hinbekommen, zum Beispiel mit kleineren Challenges, kleinen Wettkämpfen. Sie haben überlegt, wie man die Leute wieder ins Boot kriegt.


Was für Auswirkungen hat es für Sportler, wenn in Sportarten wie (Profi-)Fußball der Leistungswettstreit ungehindert fortgesetzt wurde, in der eigenen Sportart aber nicht?

Ich war überrascht, dass es in dieser Hinsicht gar nicht so einen großen Aufstand von allen „Nicht-Fußballern“ gab! Man konnte das teilweise nachvollziehen und man dachte sich vielleicht – ok, sie sind die Vorreiter und zeigen, wie es gehen kann und bald wird das auch wieder für meine Sportart möglich sein.


Wie gelingt nach den langen Einschränkungen in der Corona-Pandemie ein guter Neueinstieg in den Wettkampfbetrieb?

Ich habe gemerkt, dass die Sportler beim Wiedereinstieg in das Wettkampfgeschehen beim ersten Wettkampf nervöser waren als vorher. Das ist aber normal, das muss man akzeptieren. Die Routine muss erst wieder aktiviert werden, die allgemeine Vorbereitung. Zum Beispiel, dass ich weiß, wann ich mich umziehe oder wann ich die Erwärmung beginne oder dass ich nochmal 10 Minuten für mich selbst brauche. Diese Abläufe müssen erst wieder aktiviert werden.


Inwiefern steigern die nächsten Olympischen Spiele den Optimismus und die Motivation für Sportler, auch wenn sie hier nicht daran teilnehmen?

Olympische Spiele haben immer eine ganz besondere Faszination, gerade bei Sportlern. Man möchte da hin, das Ereignis an sich motiviert. Und da bekommt man wieder Lust gerade auf Freizeit- und Breitensport im Sinne von „Ich könnte ja mal wieder Sport machen“. Oder man bekommt Gänsehaut, wenn man Athleten aus aller Welt bei spannenden Wettkämpfen zuschaut. Ich bin gespannt, wie diese Spiele werden – ganz sicher anders als alles bisher.


In der Corona-Pandemie mussten viele Sportler improvisieren, weil sie z.B. nicht an ihre üblichen Trainingsorte konnten. Haben Sie besondere Alternativen oder Strategien kennengelernt?

Die Robert-Enke-Stiftung hat im November 2020 das „Gymnasium am Rotenbühl“ in Saarbrücken – einer Eliteschule des Sports – finanziell geholfen: Für die 215 Leistungssportler gab es gleich zu Beginn der Pandemie ein zweckorientiertes „Psychologisches Krisenmanagement in der Covid-19-Pandemie“. Hiermit wurden sie in Bezug auf die andauernde Stressbelastung, Unkontrollierbarkeit der Situation, Einsamkeit und Isolation, Physical und Social Distancing sowie der verwirrenden Informationslage von Sportpsychologen und Therapeuten begleitet. Mit Online-Sprechstunden, Online-Seminaren zur Stressbelastung oder Workshop-Reihen zu mentaler Stärke. Das finde ich sehr gut.


Auch hatten viele Sportler in der Corona-Pandemie und durch die vielen Einschränkungen deutlich mehr Kontakt zu ihren Trainerinnen und Trainern. Vor allem durch Online-Angebote. Das war sicher auch ein ganz positiver Aspekt.

 


Das Interview führte Gritt Ockert.


Foto: Juri Reetz

* Aus Gründen der Lesbarkeit wurde bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt, es ist jedoch immer die weibliche Form mitgemeint.


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