Interview mit der Psychologin Dr. Kathrin Staufenbiel

(Foto: DTB)

Ausführliche Fassung des Textes aus dem Magazin BewegtBerlin, Nr. 1 (September 2020)

Wer immer weiter lernt, ist klar im Vorteil

Was bedeutet lebenslanges Lernen?

Lebenslanges Lernen ist ein Bildungskonzept und in den 1970er Jahren entstanden. Hintergrund war, dass Menschen nie auslernen und sich für neue (berufliche) Aufgaben auch im späteren Alter immer weiterentwickeln müssen oder sollten. Die Idee, dass Menschen während des gesamten Lebens lernen, reicht zurück in die Antike. Erst in den 1970er Jahren wurde es zu einem bildungspolitischen Konzept mit gesellschaftspolitischer Bedeutung, weil In dieser Zeit ist sehr viel Wissen neu entstand. Es zeigte sich u.a. bei den ersten Weltraumflügen, dass Wissen und Wissensentwicklung ein entscheidender Wettbewerbsvorteil zwischen Ländern sein kann. Auch rückte die Welt näher zusammen; insbesondere in Umwelt- und Energiefragen wurde deutlicher, dass lebenslanges Lernen nötig ist, um diese Herausforderungen zu meistern.

 

Warum ist lebenslanges Lernen so wichtig?

Mit dem Bildungskonzept wurden verschiedene Ziele verbunden. Die UNESCO verfolgte das Ziel, Chancen für eine nachhaltige, eigenständige Entwicklung in Entwicklungsländern (oder Ländern des Globalen Südens) zu fördern. Die OECD wollte damit den sich verändernden Erfordernissen am Arbeitsmarkt gerecht werden und sah eher ökonomische Vorteile. Insgesamt ist festzuhalten, dass lebenslanges Lernen für jeden Menschen hilfreich sein kann. 2020 leben wir in einer Welt, die sich rasant verändert. Neben Prozessen der Digitalisierung, der Individualisierung oder der Globalisierung kam mit der Corona-Pandemie eine Krise hinzu – für alle eine neue Herausforderung. Für diese oder auch neue berufliche Anforderungen (z.B. Zusammenarbeit mit Kindern, die ganz selbstverständlich mit digitalen Medien umgehen) ist es wichtig, sich weiterzubilden, neues Wissen und Kompetenzen anzueignen. Kritiker des lebenslangen Lernens geben jedoch zu bedenken, dass Prozesse der Weiterbildung sinnvoll sein müssen und nicht als Zwang auferlegt werden sollten.

 

Wie kann lebenslanges Lernen jedem einzelnen gelingen?

Aus psychologischer Perspektive ist es hilfreich, eine gute Grundeinstellung zu Veränderungs- und Lernprozessen zu haben. Wer akzeptiert, dass man immer noch weiter lernen muss, um zukünftige Herausforderungen zu meistern, ist im Vergleich zu denjenigen im Vorteil, die am Status Quo festhalten möchten. Auch gibt es Personen, die bei Schwierigkeiten sofort aufhören und andere, die dann erst Spaß an einer Aufgabe entwickeln.

 

Wie schafft man es, sich selbst damit keinen Druck aufzubauen?

Es kann wichtig sein, die eigene Einstellung zu hinterfragen: Wie geht es mir damit, dass ich in einem Bereich noch nicht so gut informiert oder gebildet bin, wie es vielleicht notwendig wäre? Diese Vorstellung kann Angst machen. Für lebenslanges Lernen ist jedoch die Offenheit, sich etwas Neues anzueignen, der bessere Ratgeber. Ein hilfreicher Gedanke könnte sein: "Oh wie spannend, das kann ich noch nicht. Wenn ich es aber erreichen möchte, kann ich das auch schaffen." Diese Offenheit ist nicht angeboren und kann auch erlernt werden.

 

Inwiefern trägt sportliches Bewegen zum lebenslangen Lernen bei?

Sportliches Bewegen unterstützt auf vielfältige Weise lebenslanges Lernen. So können Aspekte, die gelernt werden sollen, besser behalten werden, wenn diese durch eigenes Tun wie sportliches Bewegen erprobt wurden. Darüber hinaus trägt sportliches Bewegen jedoch auch dazu bei, dass Erwachsene (psychisch) gesund bleiben und somit im Stande sind, Veränderungen und neue Herausforderungen anzugehen. Vielfältige Veränderungen im Arbeitsalltag zu meistern (z.B. durch Corona), ist eine Anpassungsleistung, die zu Erschöpfung führen kann. Umso wichtiger sind ausgleichende Betätigungen wie sportliches Bewegen.

 

Hat sich das lebenslange Lernen in den letzten Jahren verändert, z.B. durch neue digitale Angebote?

Lebenslanges Lernen hat sich durch Digitalisierung stark verändert. Gerade während der Corona-Pandemie wurde diese immens weiterentwickelt. Das bringt positive Aspekte – etwa konnten wir in der Online-Fortbildung der DTB Turn-Akademie „Corona und der Leistungssport“ Trainerinnen und Trainer aus ganz Deutschland miteinander ins Gespräch bringen. Für die Zeit nach der Pandemie ist genau zu prüfen, welche Inhalte besser online und welche eher in einer Präsenzveranstaltung umzusetzen sind. Eine weitere gesellschaftliche Veränderung ist die Individualisierung. Lebenslanges Lernen sollte nicht durch eine Standardisierung erfolgen, vielmehr muss die Verschiedenartigkeit der Lernenden berücksichtigt werden (z.B. unterschiedliche Aufgaben je nach Wissensstand, Reflexionsfragen).

 

Welche Angebote muss es für das lebenslange Lernen geben – generell und z.B. im Sportverband?

Wichtig ist, dass wir passgenaue Angebote entwickeln. Im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen lernen Erwachsene nicht aus reiner Neugier, sondern es muss einen direkten Bezug zum Alltag geben. Welches Problem, welche Herausforderung soll nach der Weiterbildung besser zu lösen sein? Wie lernen (berufstätige) Erwachsene gut und was sind inhaltliche Bedarfe, um gute Angebote zu gestalten? Als Sportverband sollten Angebote auch von der Verbandsstrategie abgeleitet werden: Wie wollen wir den Verband (oder den Leistungssport) entwickeln und zukunftsfähig machen? Wenn wir das wissen (z.B. strategische Ziele), können wir auch ableiten, wie das Personal ausgewählt, entwickelt und unterstützt werden sollte, um diese Ziele gemeinsam zu erreichen.

 

Sind Vorbilder bezüglich des lebenslangen Lernens wichtig?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass es hier Vorbilder gibt. Für meinen Bereich ist zu verdeutlichen, dass auch absolute Spitzen-Trainerinnen und Spitzen-Trainer (z.B. Bundestrainer) sich selbst weiterentwickeln müssen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Zugleich ist es für Bildungsverantwortliche wie mich wünschenswert, wenn diese Weiterbildung als positiv und hilfreich – auch von Vorbildern – erlebt wird.

 


Zur Person

Dr. Kathrin Staufenbiel ist Psychologin, Sportpsychologin und Systemische Beraterin. Seit September 2019 ist sie Referentin für Bildung und Personalentwicklung im DTB und hier für die Aus- und Fortbildung der Trainerinnen und Trainer im Olympischen Spitzensport zuständig.


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