Interview mit Michael Schellberg

 

Zur Person

Michael Schellberg ist diplomierter Volkswirt mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialpsychologie. Bis 2015 war er Geschäftsführender Gesellschafter der Freiherr Knigge OHG. Von ihm sind mehrere Publikationen zum Umgang mit Menschen, u.a. das Buch „Spielregeln: Wie wir miteinander umgehen sollten" erschienen – eine moderne Fassung des Ur-Knigge mit Moritz Freiherr Knigge. Seit 2015 ist er selbständiger Unternehmer im Bereich Kommunikation, Personal Branding, Konzeption, Coaching, Auftritte.

Die Mitmenschen als Menschen wahrnehmen

 

Herr Schellberg, man hat heute oft den Eindruck, dass sich unsere Gesellschaft in Bezug auf Anstand, Manieren, Wertschätzung und Respekt eher ins Negative gewandelt hat – war früher alles besser?

 

Die Vergangenheit war schon immer ein Sehnsuchtsort, das Lob der alten Welt wurde schon immer laut und inbrünstig gesungen. Ob es früher so viel besser war, ist ohne Zeitmaschine schwer zu beurteilen. Ich würde den „man“ aus Ihrer Frage gerne fragen, warum er den Eindruck hat, dass sich Respektlosigkeiten häufen und Manieren auf dem Rückzug sind.


Was bedeutet für Sie Respekt im Allgemeinen oder auch speziell im Sport?

Respekt bedeutet in einem ganz wörtlichen Sinne zunächst einmal Rückschau halten, Rücksicht nehmen, in den Rückspiegel schauen, ob da noch andere sind außer uns. Ob da andere auch was wollen könnten und ihr gutes Recht dazu haben. In Erwägung zu ziehen, dass man selbst nicht nur Opfer von Respektlosigkeit ist, sondern es bisweilen selbst an Respekt fehlen lässt.


Als ehemaliger Feldhockeyspieler bedeutet Respekt für mich, niemals zu vergessen, dass wir ein Spiel spielen, dass man sich nach dem Spiel die Hand reicht, wie hitzig es auch beim Wettbewerb zugegangen sein mag, dass man andere Menschen zu keinem Zeitpunkt in ihrer Persönlichkeit verletzt und sich bei den Schiedsrichter*innen dafür bedankt, dass sie unser Spiel überhaupt möglich gemacht haben.


Wie reagiert man am besten auf respektloses Verhalten?

Indem man die vermutete Respektlosigkeit nicht seinerseits respektlos erwidert. Indem man ein Missverständnis unterstellt und freundlich bleibt. Wiederholt sich darauf die Respektlosigkeit, spreche ich diese an, um zu verstehen, was sich dahinter verbirgt. Das hilft, um die Emotionen nicht noch weiter eskalieren zu lassen und eröffnet die Möglichkeit, (wieder) ins Gespräch zu kommen. Hilft das auch nicht, rate ich dazu, die Situation ruhig zu verlassen. Nicht Angriff, sondern Flucht ist nämlich beste Verteidigung.


Sie haben mit Moritz Freiherr Knigge bis zu dessen Tod im Jahr 2021 eng zusammengearbeitet. Er war Nachfahre des legendären Adolph Freiherr Knigge, der 1788 sein berühmtes Werk „Über den Umgang mit Menschen“ veröffentlichte. Eine seiner wichtigsten Empfehlungen lautet: „Interessiere Dich für andere, wenn Du willst, dass diese sich für Dich interessieren sollen.“ Das gilt 2022 noch genauso wie vor über 230 Jahren. Welche Werte und Umgangsformen aus dieser Tradition sind für uns heute noch zeitgemäß?

Umgangsformen sind natürlich immer dem Zeitgeist unterworfen und das Frauenbild des 18. Jahrhunderts hat sich zum Glück gewandelt. Aber in seinen Grundzügen sind die Einsichten und Erfahrungen zum Umgang mit Menschen in der Tat zeitlos. Das spannende an Knigge ist ja, dass er im Gegenteil zum weit verbreiteten Klischee nicht an feste Regeln im Umgang miteinander glaubte, sondern vielmehr daran, dass es eine gewisse Geschmeidigkeit braucht, um sich und anderen das Leben zu erleichtern. Dazu müsse man sich nach den Neigungen und Einsichten der Menschen richten, ohne sich zu sehr zu verbiegen.


Eine Balance zu finden zwischen den eigenen Interessen und denen seiner Mitmenschen. Darum ging es zu Knigges Zeiten, darum geht es auch heute und in Zukunft.


Wie erweist man jemandem gegenüber ehrlichen Respekt? Wie verschafft man sich Respekt?

Zunächst einmal, indem ich meine Mitmenschen überhaupt als Mensch wahrnehme. Sie anschaue, anlächle und ihnen zuhöre. Indem ich ihnen ein Angebot mache: Ich-Mensch-Du-Mensch, lass es uns mal miteinander ausprobieren. Dieses Angebot lohnt sich immer: für einen Bruchteil von Sekunden mit Fremden im öffentlichen Raum oder für einen Großteil unseres Lebens in Ehe, Freundschaft, mit Kolleg*innen oder im Verein. Indem ich deutlich mache: Ich mache Dich nicht zum bloßen Mittel meiner Zwecke und Du solltest das auch mit mir nicht tun. Wir sind beide Menschen, verhalten wir uns doch einfach so. Ich bin dabei!


Ihre Arbeit hat den Schwerpunkt „Mensch bleiben – wie wir besser miteinander klarkommen“. Was war die Motivation zu diesem Motto?

Moritz Freiherr Knigge und mir ist früh aufgefallen, dass es nicht an klugen Einsichten zum besseren Miteinander mangelt, sondern eher daran, dass wir als Menschen dazu neigen, uns selbst aus der Gleichung des guten Umgangs zu kürzen, frei nach dem Motto: Ich weiß ganz gut, was man so im Umgang mit Menschen zu tun und zu lassen hat, vor allen Dingen, was die anderen so zu tun und zu lassen haben! Wer Mensch bleiben will, der darf aber nicht nur von anderen erwarten, dass sie etwas zum Gelingen einer Begegnung beitragen, sondern der fängt da an, wo wir wie alle den größten Hebel haben: bei sich selbst.


In einem Interview mit Moritz Freiherr Knigge sagte dieser „Heute wird Etikette oft als etwas Aufgesetztes verstanden“. Was meinte er damit und inwiefern ist Etikette immer noch wichtig?

Er meinte damit, dass Etikette als etwas sehr Steifes wahrgenommen wird, dass die Menschen, die alle tradierten Umgangsformen beherrschen, von vielen als unecht und wenig authentisch wahrgenommen werden. Und tatsächlich: Wenn Menschen hinter ihrer Rolle verschwinden und ihre Regelkenntnis nicht mehr dazu verwenden, dass der Umgang gelingt, sondern um sich abzugrenzen gegen formlose Banausen, dann ist das unhöflich!


Etiketteregeln und Umgangsformen bleiben hingegen wichtig, wenn sie einen Rahmen schaffen, der mehr Sicherheit im Umgang verleiht. Sie sind dann obsolet, wenn sie als Herrschaftswissen missbraucht werden, um sich abzugrenzen.


In Ihren Vorträgen und Seminaren bringen Sie Menschen und Unternehmen näher, wie man anständig miteinander umgeht. Wo liegen die Notwendigkeiten und was sind grundlegende Ansätze?

Ich bin davon überzeugt, dass die Gestaltung des Umgangs miteinander eine wichtige Voraussetzung für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg ist. Nachhaltig deshalb, weil bessere Entscheidungen für das Unternehmen und die Menschen, die mit diesem Unternehmen verbunden sind – wie Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden – wahrscheinlich werden. Der grundlegende Ansatz besteht darin, dass Menschen und Organisationen zunächst über ihre tatsächliche Kommunikation und deren Konsequenzen für sich und andere reflektieren. Entwicklung beginnt beim Ist und nicht beim Soll: Echte Gestaltung beginnt mit dem Finger an der eigenen Nase und nicht mit dem, der auf andere zeigt.


Vor welcher Persönlichkeit oder auch vor welchen Eigenschaften oder Leistungen haben Sie höchsten Respekt?

Ich habe Respekt vor Menschen, die lauter über sich als über andere lachen können. Die Missverständnisse nicht mit Konflikten verwechseln. Die ihre Sicht der Dinge nicht für die Sicht auf die Dinge halten. Die nicht Recht haben wollen, sondern etwas zum Gelingen beitragen. Die nicht nur ihre eigenen Mühen, sondern auch die der anderen sehen. Die nicht sich selbst, sondern anderen auf die Schulter klopfen. Die auch in schwierigen Situationen gelassen bleiben. Die nicht nur wissen, was zu tun, sondern auch, was zu lassen ist. Die sich entschuldigen können und Entschuldigungen annehmen können. Die aus Mücken keine Elefanten machen. Die so mutig sind, ihre Ängste zu umarmen und so cool, warmherzig zu sein.


Welche Tipps haben Sie, um den (sportlichen) Umgang und generell unser Zusammenleben respektvoller zu gestalten?

Warum nicht mal eine kleine Top 10 des besseren Miteinanders auf und neben dem Platz?

  1. Fass Dir an die eigene Nase, bevor Dein Finger auf andere zeigt.
  2. Erwarte von Dir mehr als von anderen.
  3. Höre zu und gönn’ Deinen Lieblingsstorys mal ´ne Pause.
  4. Sei aufmerksam für das, was die jeweilige Situation Dich fragt.
  5. Schlage alle Etikette in den Wind, wenn du anderen dadurch eine Peinlichkeit ersparen kannst.
  6. Lächle.
  7. Stelle Fragen, anstatt auf alles eine Antwort zu haben.
  8. Klopfe lieber anderen auf die Schulter, als auf Dein Recht zu pochen.
  9. Lerne gut zu verlieren, aber noch fleißiger, gut zu gewinnen.
  10. Spiele fair, aber lass Dir Unfairness nicht gefallen.

 


Das Interview führte Gritt Ockert.


Foto: privat


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